Eine Region von Weltruhm, in Schönheit erstarrt

Werbung
Werbung
Werbung

Betrachtungen über Schein und Sein in Salzburg im Vorfeld der Landtagswahl am Sonntag, 1. März. Stadt und Land leiden an dem Ruf des gnadenlos Schönen, der ebenso gnadenlos vermarktet wird.

Salzburg ist eine tote Hure“. In riesigen roten Sprühlettern prangte dieser Satz auf einer der Kaimauern entlang der Salzach. Aufdringlich und unübersehbar für jede Passantin und lesbar für jeden der deutschen Sprache mächtigen Touristen, wenn er die Staatsbrücke querte, die Hauptbrücke der Stadt, die von der barocken Altstadt in die nicht minder alte Neustadt führt. Vor allem aber war der Sprühsatz ein Ärgernis: für die Salzbürgerinnen und Salzbürger, also die eingesessenen Bewohner der nach außen so selbstzufriedenen scheinenden Stadt mit Weltruf. Wobei sich die Empörung gegen den Begriff der Hure und in einem noch größeren Ausmaß gegen den ihres Zustands richtete.

Schnell war das Ärgernis entfernt, auf Anordnung der Stadtadministration, in der zu jener Zeit ein gewisser Johannes Voggenhuber als Stadtrat für die Bürgerliste werkte. Es war die Zeit, als Herbert von Karajan, einst unumschränkt herrschender Maestro über Stadt und Land Salzburg, gerade vor einem Jahr gestorben war und der Belgier Gerard Mortier die verstaubten Salzburger Festspiele und deren gesellschaftliches Umfeld zu entlüften begann. Sehr zum Widerwillen der alteingesessenen Krämerfamilien, die in Salzburg seit jeher den Ton angeben.

Damals regte sich ein Widerspruch gegen die Tradition der Kleinkrämerei. Es entstanden freie Theatergruppen, die Szene der Jugend, Zukunftsforen, angeführt vom späteren Präsidentschaftskandidaten der Grünen, Robert Jungk. Mit Leidenschaft entfachte der Schauspieler Herbert Fux eine öffentliche Kampagne über jeden zu fällenden Baum. Nicht zuletzt deswegen konnte das Museum im Berg, eine architektonische Meisterleistung zur Errichtung eines Museums der Moderne im Mönchsberg, nicht verwirklicht werden. Dafür steht jetzt auf dem Stadtberg eine weiß getünchte Schachtel, in der man sich redlich bemüht, Ausstellungen mit internationalem Format zu organisieren.

Touristenfallen reihenweise

Längst sind Stadt und Land Salzburg jedoch wieder in Schönheit erstarrt. Es regiert das Mittelmaß in jeder Hinsicht. Vergleichbar mit dem Geschehen in jeder x-beliebigen mitteleuropäischen Kleinstadt, in der H&M, Orsay, Spar und Co. das Stadtbild prägen. Selbst im engen Viertel zwischen Getreidegasse und Festspielbezirk samt Dom, das täglich von tausenden Touristen gestürmt wird, haben sich die gleichförmigen Labels ausgebreitet. Wären da nicht die charakteristischen Bauten und Plätze der Altstadt, die unter Denkmalschutz stehen, Salzburg wäre in jeder Hinsicht verwechselbar. Eine Touristenfalle reiht sich an die andere.

Es lebt sich mehr schlecht als recht in der Region mit Weltruhm. Laut jüngstem Armutsbericht, der vor wenigen Tagen rechtzeitig vor der Landtagswahl veröffentlicht wurde, sind die Lebenshaltungskosten extrem hoch, die Einkommen in Salzburg jedoch relativ niedrig. Das mittlere Einkommen liegt um 3,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Bei den Wohnungspreisen liegt Salzburg dagegen an der Spitze, ebenso bei den Lebensmittel- und Energiepreisen. Zwölf Prozent der Salzburger sind armutsgefährdet.

Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Salzburg wirtschaftlich extrem vom Tourismus abhängig ist. In diesem Bereich sind die Löhne meist niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht. Und die nicht gerade üppig vorhandenen Industriearbeitsplätze in Salzburg sind in Zeiten der Krise gefährdet.

In der Mozartstadt selbst sind die ewiggleichen Probleme seit Jahren ungelöst. Die Wohnungsnot in der Stadt hat wieder Ausmaße wie zu Beginn der 90er Jahre angenommen. Jährlich werden rund 700 Wohnungen benötigt, aber nur rund 450 gebaut. Günstiges Bauland in der Stadt ist nicht mehr zu bekommen. Da sich in Salzburg immer mehr Betuchte Wohnungen oder Häuser kaufen, wird die Preisspirale weiter nach oben getrieben. Zu einem Dauerärgernis ausgewachsen haben sich die Verkehrsprobleme in der Mozartstadt. Da Wohnen in der Stadt nicht leistbar ist, sind viele ins Umland gezogen und pendeln. Täglich staut es sich auf den Einfallstraßen. Seit Jahren werden, um das Zentrum zu entlasten, die gleichen Projekte wie z. B. ein Tunnel durch den Kapuzinerberg, eine neue Autobahnabfahrt im Norden oder die Verlängerung der Salzburger Lokalbahn in den Süden diskutiert – und wieder verworfen.

Integration kann gelingen

Gute Ansätze hingegen gibt es im Bereich der Migrationspolitik. Mit 21 Prozent hat Salzburg unter den Landeshauptstädten den höchsten Ausländeranteil. Sie konzentrieren sich vor allem auf die Stadtteile Lehen und Itzling. Hier versucht die Stadtverwaltung, mit offensiven Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen die Situation zu verbessern. In Lehen wurde auf dem rund zwei Hektar großen Areal des ehemaligen Stadions ein neuer Stadtteil in anspruchsvoller Architektur verwirklich. Das Herz des neuen Stadtteils bildet die neue Stadtbibliothek, errichtet nach dem Konzept der Wiener Hauptbibliothek, das möglichst geringe Zugangsbarrieren auch für Kinder mit Migrationshintergrund vorsieht.

Ja, und dann gibt es natürlich jenes Salzburg, das alljährlich zwischen Ende Juli und Anfang September geschaffen wird. Das Salzburg der Festspiele, über die Thomas Bernhard gemeint hat, dass unter ihrem Namen Universalität geheuchelt werde und sie nur deshalb aufgezogen würden, um den Morast der Stadt zuzudecken.

Irgendwie ist die Kritik Bernhards zwar selbst schon zum Klischee geworden, das jedoch in regelmäßigen Abständen von der Realität bestätigt wird. Denn die Festspiele sind seit dem Abgang ihres Erneuerers Gerard Mortier ein gut organisierter Veranstaltungsmarathon, unterbrochen von zahllosen Societytreffs. Statt über künstlerische Höhepunkte zu streiten, wurde im Vorjahr bezeichnenderweise besonders erregt über die Neuregelung von Sponsoreinladungen diskutiert und ab welcher Preiskategorie für eine Festspielkarte von Bestechung die Rede sein müsse.

Salzburg gerecht zu werden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Stadt und das Land leiden an sich und dem selbst geschaffenen Ruf des gnadenlos Schönen, der ebenso gnadenlos vermarktet wird. Das kostet viele Anstrengungen und allzu oft werden darob die Bedürfnisse jener vergessen, die in der „Weltregion“ leben und arbeiten. Diese unterscheiden sich kaum von den Sorgen und Problemen wie in jeder x-beliebigen Region der Welt. Nur dass sich der Alltag, umgeben von konservierter Schönheit, mitunter mühsamer anfühlt als anderswo.

* Die Autorin ist langjährige Politik-Journalistin und Kommunikationsberaterin

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung