War das ein Sommer!

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Die Altstadt droht zur Kulisse zu verkommen. Wiederbelebung durch gezielte Infrastrukturpolitik ist ein Gebot der Stunde.

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Die Altstadt droht zur Kulisse zu verkommen. Wiederbelebung durch gezielte Infrastrukturpolitik ist ein Gebot der Stunde.

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War das ein Sommer! Salzburg zeigte sich von seiner besten Seite, von der repräsentativen. Ein event jagte den anderen. Landeshauptmann Franz Schausberger schüttelte Hunderte offizielle Hände, darunter die von Papst Johannes Paul II., von 15 Außenministern der EU-Mitgliedsstaaten oder von Dutzenden westeuropäischen Wirtschaftsmagnaten beim World Economic Forum. Erst im Frühjahr war Hillary Clinton da, im Sommer residierte Eliette von Karajan in der Mozartstadt, Bianca Jagger ließ sich anschauen, amerikanische Dollar-Milliardäre lieferten bei den Festspielen ihre freiwilligen Spenden ab. Sophie Rois gab neben Jedermann Gerd Voss eine passable Buhlschaft ab. Intendant Gerard Mortier wurde von "den bösen" Wiener Journalisten auffällig in Ruhe gelassen. Kein noch so winziger Skandal konnte die künstlerische Ruhe durchbrechen, selbst die Preise für Fritattensuppen (im Vorjahr in einem Nobelhotel noch über 100 Schilling) waren diesmal keine Schlagzeile wert.

Der kommunalpolitische Streit drehte sich zunächst um ein abgetakeltes Kongreßhaus und ein noch nicht gebautes Fußballstadion. Das für Salzburg außergewöhnliche Ergebnis: Beide Projekte werden verwirklicht. Das neue Kongreßhaus wird an der Stelle des alten errichtet. Um knapp 500 Millionen entsteht so an der Auerspergstraße auf engstem Raum ein alles andere weit überragender Kasten nach den Plänen des Salzburger Architekten Friedrich Brandstätter. Der eigentliche Wettbewerbssieger, Juan Navarro Baldeweg, war vom Gemeinderat ausgebootet worden. Des Spaniers Kostenschätzung von rund 400 Millionen Schilling war den Gemeindevätern damals zu hoch erschienen.

Das 600-Millionen-Projekt Fußballstadion haben die Salzburger aus der Stadt vertrieben, noch ehe es richtig geplant war. Entnervt gab der Bürgermeister die Suche nach einem Standort auf. Jeder Vorschlag wurde abgelehnt. Bis schließlich der Salzburger Vorort Wals-Siezenheim das Heft in die Hand nahm. Wals galt einst als Hochburg des Gemüseanbaues, entwickelt sich aber zunehmend zu einer dynamischen Vorstadt. Wie zuvor mit einem großen Einkaufszentrum, einem Mega-Kino und zahlreichen Gewerbebetrieben schnappten die listigen Walser der Stadt mit dem Stadion ein Renommierprojekt weg. Immerhin soll Salzburg dereinst als Austragungsort für die Fußballeuropameisterschaft 2004 zum Zug kommen. Bundeskanzler Klima hat für diesen Fall 200 Millionen Schilling Unterstützung zugesagt. Auch Landeshauptmann Franz Schausberger zeigt sich generös. Der landespolitische Durchstarter an der Salzach greift tief in die Schatulle und überweist ebenfalls 200 Millionen Schilling nach Wals.

Den Aufreger der Saison lieferte Weihbischof P. Andreas Laun. Mit ein paar Leserbriefzeilen in den "Salzburger Nachrichten" löste der streitbare Kirchenmann ein kommunalpolitisches Erdbeben aus. Anlaß war die von der Stadt zunehmend betriebene "Eventarisierung" des Kirchenbezirkes. Einem Hamburger Fischmarkt folgten Fußballübertragungen auf Großbildleinwänden, dann wurden Rampen für Inlineskater und Körbe für Basketballer aufgestellt. Ein als Kunstwerk getarntes Bierkisten-Haus ließ Laun schließlich laut aufschreien. Der Bischof sah das Weltkulturerbe gefährdet. Hunderte stimmten mit ihm überein, darunter das Salzburger Urgestein Gerd Bacher, Hunderte plädierten für die offene Altstadt, wie die Schauspielerin Marie Colbin. Launs Chef, Erzbischof Georg Eder, legte noch ein Schäuferl nach und drohte gar mit der Verlegung des Bischofssitzes weg vom ehrwürdigen Kapitelplatz an einen beschaulicheren Ort.

Über dem Streit, welche Art von Veranstaltungen denn nun Salzburg-würdig wären und welche nicht, ging der eigentliche Grund für die zunehmende Verwahrlosung des Stadtzentrums vollkommen unter: es leben ganz einfach zu wenig Menschen im Herzen der Stadt, über Jahrzehnte wurden die Bewohner gezielt vertrieben, Wohnungen wurden in teure Büros und Geschäftslokale umgewidmet, die Autos wurden aus der Innenstadt verbannt. Die volle Konzentration galt den Touristen, insbesondere den Tagesbesuchern. Mit ihnen ließ sich schnelles Geld machen. Doch irgendwann hatten sich die Tausenden Bustouristen an Getreidegasse, Mozartplatz und frisch renovierter Domfassade satt gesehen, die Dauergäste waren ohnehin schon längst in die Umgebung ausgezogen. Und so wurde über Nacht der Blick frei auf die verlassene Stadt. Mit Entsetzen wurde im Vergleich zu früheren Jahren ein dramatischer Einwohnerrückgang im Zentrum registriert. Die Infrastruktur hatte sich der Auswanderungswelle angepaßt: kein Kindergarten, keine Volksschule, kein Greißler weit und breit.

Der Versuch, die Stadt zumindest tagsüber mit Veranstaltungen aller Art zu "bemenschen", ist löblich. Eine tatsächliche Wiederbelebung kann jedoch nur über gezielte Wohnungs- und Verkehrspolitik erreicht werden. Büros müssen wieder Wohnungen werden. Nur so kann die barocke Altstadt als Weltkulturerbe auch für die nächsten Generationen erhalten werden. Kommen die Menschen nicht in die Stadt zurück, wird sie verfallen. Dann gibt sie auch nicht mehr die Kulisse für die vielen hohen Besucher ab, denen es die Hände zu schütteln gilt. Wie in diesem Sommer ...

Der Autor ist Lokalchef der "Salzburger Nachrichten".

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