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Theater sommer 1947

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Sommer 1947 in Wien — Hitze, Schwüle, wenig Aussicht auf Besserung der allgemeinen Verhältnisse. Wie läßt sich diese Situation vom Theater her bewältigen? Die Wiener Theaterleute haben sich dahingehend geeinigt, auf die Betrachtung der Zeitlage von der Bühne her zu verzichten und dem Wiener Publikum durch leichteste Kost sein bitteres Dasein zu versüßen. Zur Ehre des Wiener Theaters muß jedoch verzeichnet werden: Die Wiener Kammerspiele wagten ein zeitnahes Lustspiel — „SimoneundderFriede“ —, welches kurz vor der Premiere nach zwei geschlossenen Aufführungen vom Alliierten Rat vorläufig verboten wurde Inzwischen geht der Kampf um den Frieden auf der Bühne zwischen dem Alliierten Rat und dem Theater weiter — das letzte Wort ist noch nicht gefallen Wir hoffen es zumindest auf den Frieden am kleinen und am großen Welttheater.

Diese Tatsache muß jedoch festgehalten werden. Sie zeigt eindringlich wie schwer, wie nahezu unmöglich es ist, eine böse Zeit, eben unsere Gegenwart, im Lustspiel zu überwinden. Dieses setzt eine in ihrer Ordnung bleibende, stete, ganze Welt voraus, einen Kosmos, auf dessen weiten, klaren Gewässern das Narrenschiff der Zeit seine Segel setzen mag. Was tut's, wenn diese Welt voll von Käuzen und Narren, ja auch von Schurken und Bösewichtern ist, wenn diese dunklen Gestalten vor dem lichten Hintergrund einer in Sitte, Maß und Wert festen gesellschaftlichen Ordnung tanzen. Müssen sie dann nicht nahezu „von selbst“ sich als Narren und Schelme entlarven?

Das Volkstheater hat in diesem Sinne eine alte eoofhsche Komödie gewählt: „Der Wauwau“ von Hodge und P e r c y v a 1. Es ist gute, beste englische Gesellschaft. Ein Verbrecher, ein Berufsverbrecher natürlich, der sich hier einschleicht, wird deshalb auch mit Leichtigkeit vom greisen Herren des Hauses entlarvt und seiner Schurkerei überführt. Der junge Mann und das Mädchen sinken sich froh in die Arme, Diener und Kammerzofe sehen bewundernd zu Der „Wauwau“, eben der alte Schloßherr selbst, darf als Symbol dieser Welt bezeichnet werden Sein rauhes Äußeres birgt einen zart-menschlichen Kern und in ihm ist im Grunde alles „richtig“ und ,.in Ord nung“. Dasselbe trifft auch für das junge Mädchen zu, welches nur scheinbar in Gefahr schwebt, mit dem Juwelendieb eine Dummheit zu begehen. Ach nein — sie i viel zu gesichert in ihrer „guten Welt“. Brav kehrt sie rechtzeitig in den Schoß des Wauwau und in den Arm des ihr seit der Kindheit zugedachten Mannes lurück. Dies aber ist es eben, was dem .Publikum gefällt und dem Autor seine Sache so leicht macht. Im Grunde kann nichts „passieren“, nichts wirklich „Böses“, Unangenehmes geschehen in der Sphäre dieser durch jahrhundertelange Zucht disziplinierten „guten“ Gesellschaft. Die Anziehungskraft, welche die angelsächsischen Detektivroman und Kriminalstücke auf du kontinentale Publikum ausüben, beruht nicht zuletzt auf der Leichtigkeit, mit der in dieser Hemisphäre alle Dinge, Mensdien und Erscheinungen ihren rediten Stand erhalten. Der Autor, welcher seine Gestalten und Geschehnisse formt, gleicht hier stet einem herrlich selbstsicheren, märchenhaften, großen Täuberich, der Erbsen liest: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen ...

Dieselbe Grundgegebenheit — als Voraussetzung des Lustspiels — liegt auch unserem heimischen Bauernstück zugrunde. Die „geschlossene Gesellschaft“ und ihre im Grund* heile Wertewelt sichert den Lachern das Lachen. Mögen diese Bauern noch so viel Unfug treiben, mögen sie zänkisch und närrisch, überklug und tölpisch zugleich ein, alles findet sich zu recht: „Die Richtigen“ finden einander, bekommen Hau? und Hof, Vieh und Geld. Sie können es sich leisten, in tollen Jugendstreichen und bösen Altersgeschäften über die Schnur zu hauen, hinter ihnen steht das ewige unveränderlich Feste: das Land und die Lebensordnung der bäuerlichen Welt mit ihrer eigentümlichen Rechtlichkeit und Menschlichkeit. So ein Bauernstück darf sich deshalb auch manches an Unwahrscheinlichem und Derbem zutrauen. Und doch, das erfolgreichste, oftmals zu Lob und Ehren der „guten“, zu Schand und Spott der „bösen“ Bauern exerzierte Stück scheitert auf der Bühne, wenn die Farben zu dick aufgetragen werden, wenn im Gekreisch und Uberschwall das eigentümlich Bäuerliche untergeht. „Das Verlegenheitskin d“, von Franz Streicher, im Bürgertheater neu herausgebracht, ist trotz gutei Einzelleistungen einiger Schauspieler eine Verlegenheitsmischung von Vorstadtkomödie, Tingel-Tangel-Werk und Persiflage der bäuerlichen Welt geworden, im ganzen ein „K 1 i m b i m“. Dieses Titelwort hat sich das Neue Schauspielhaus für ein Stück vorbehalten, zu dem sich höflicherweise nichts anderes sagen läßt, als, was es selbst offen ausspricht.

Bäuerliche Komödie ist jedoch niemals ein leeres Geklapper blecherner Schellen. Sie setzt eine leise, aber unüberhörbare Musik als Begleitung voraus, in jenem feinen Unterton, der in jeder Szene anzeigt, es ist schon „richtig“, es geht schon gut... Diesen Unterton hat das Theater der Stefansspieler in der bäuerlichen Groteske „D er verkaufte Großvater“ von Anton Hamik glänzend getroffen. Sie zeigt das volle Einschwenken dieser Bühne zum Voftsstiick. Dieses Stück stammt aus derselben Welt wie das „Verlegenheitskind“. Doch ganz anders werden durch Regie und Spiel die Akzente aufgesetzt. Die Bauern sind keine bloßen Statisten, Maskenträger des Grotesk-Tölpischen, keine Närrischbösen und Eitelkäuzischen, sondern Menschen. Gewiß bietet sich auch hier — unerläßlich für diese Komöide — das leichte Ballspiel der Worte dar, das geschickte Hantieren mit Situationskomik und handfest gereimter Possendramatik. Aber es ist keineswegs alles. Das Stück ist in der Darbietung der Stefansspieler eine echte „Moralität“, ein Spiel zu Nutz und Frommen des „Volkes“, das seine Art und Unart hier besehen darf und soll. Es kann froh und erheitert nach Hause gehen, denn es hat den Sieg kluger Güte und frischer junger Herzen über Geiz, Gemeinheit und Brutalität gesehen — ein erbauliches Schaustück für diesen Sommer.

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