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Tschechows „Kirschgarten“

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Mit Anton Tschechow kündigt sich eine neue Zeit in der russischen Literatur an. Die Allgewalt der Gefühle, dieses ungeheure Strömen ins Grenzenlose, mächtig in der epischen Welt der Russen von Puschkin bis Dostojewskij, sublimiert sich bei Tschechow zu differenzierter Empfindung; das elementare Schaffen aus überquellender Lebensfülle ist abgelöst durch die Technik eines behutsamen Impressionismus, und ein Hauch von Resignation liegt wie ein Schleier über der Farbigkeit des russischen Lebens. Insbesondere in seinem dramatischen Werk spürt man die Wehmut über das Absinken der altrussischen Welt, am tiefsten in der Komödie „Der Kirschgarten“, dem elegischen Abgesang des schon vom Tode gezeichneten Dichters.

Die Handlung des Stückes ist denkbar einfach, ohne Höhepunkte und starke Erschütterungen. Nichts ist ungewöhnlich, alles spielt im Bereich des Alltäglichen. Aber dieser Alltag hat einen doppelten Boden, und unversehens wird der Zuschauer gewahr, daß in jedem profanen Wort ein geheimnisvoller Nebenton mitschwingt, daß die Dinge und Geschehnisse Symbolbedeutung haben.

Über der Aufführung des Salzburger Landestheater lag jener Duft von Vergänglichkeit, der den poetischen Zauber dieses späten Werkes ausmacht. Ekkehard Dittrich brachte als Regisseur einen geschärften Sinn für das Unwägbare mit, für alles, was zwischen den Dingen steht, und vermochte so seine Aufgabe im Geiste des Dichters zu erfüllen. Er stimmte das Ensemble auf ein verhaltenes, Tschechow sehr ent sprechendes Piano, was seiner Inszenierung Atmosphäre gab.

Dem Kritiker, den man hier, im Gegensatz zu anderen Theatern in das hintere Drittel des Hauses einlädt, ging leider manches verloren; viele Dialogpartien waren in der 12. Reihe nicht mehr zu verstehen. Cornelia Oberkogler gab ihrer Ranewskaja so viel schwebenden Charme, so viel Zartheit und irisierende Unbestimmtheit, daß ihre Stilisierung der Rolle sich als klug eingesetztes Mittel erwies, dem Charakter festere Umrisse zu geben. Dem neureichen Lopachin gewann Gustl Bayrhammer alle Sympathien, die sich für diesen Typus mobilisieren lassen. Der weltfremde, ein wenig hilflose Aristokrat Leonid Gajew fand in Albrecht Goetz einen ausgezeichneten Interpreten. Inga Bünsch war eine geradlinige Warja, sauber, streng und unglücklich, Rosemarie Schrammel als Anja von freundlicher Mädchenhaftigkeit. In der Rolle des unausgegorenen, ebenso zynischen wie pathetischen Studenten Trofimow, dieser im zaristischen Rußland so häufigen Erscheinung, bot Hans Graf eine originelle Studie. Als uralter treuer Diener, der schließlich von seiner Herrschaft vergessen wird, rührt Richard Tomaselli; überzeugend in seiner ungeschickten Schüchternheit wirkte der Buchhalter Gerhard Zemanns. Heidi Ernst war ein köstlich verstiegenes Kammermädchen, und Gerhard Mörtl stattete seinen Jascha mit aufreizender kaltblütiger Lakaienimpertinenz aus. Die Bühnenbilder von Marianne Frehner gaben einen schlichten Rahmen für die wohlgelungene Aufführung.

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