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Uberwindung des Hasses

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Erich Fried, der Ubersetzer von Dylan Thomas und T. S. Eliot, ist den osterrei- chischen Freunden der modernen Literatur auch durch einige Veroffentlichungen — Lyrik und Prosa — in den Jahrbiichern „Stimmen der Gegenwart” bekannt. Sein erster hier vorliegender Roman wird, wie wir vermuten, einigen Staub aufwirbeln. Ein erstaunliches, ein mutiges Buch, dem wir wfinschen, daB es nicht mifiverstanden werde.

Ein Soldat und ein Madchen stehen im Mittelpunkt der Handlung. Das Madchen, Helga, ist eine junge, schonet KZ-Warte- rin, die zum Tode verurteilt wird. Der Soldat ist ein nach Amerika emigrierter Jude, der zu den Bewachern des Mad- chens gehort und die letzte Nacht vor der Hinrichtung mit ihm verbringt.

Wie kommt es zu dieser absurden Situation? Wir horen von Helga, daB sie wahrend des Prozesses weder geweint noch gebeten oder offentliche Reue bekundet hatte, sondern erklarte. sie bedauere ihr Tun als Lagerffihrerin nicht im mindesten.

Sie habe auf Befehl gehandelt, aber auch aus Uberzeugung. Auch nach dem Todes- urteil zeigt sie sich verstockt und trotzig. Sie will weder geistlichen Beistand noch ihre Eltern sehen. Sie habe keinen Wunsch mehr. Der Soldat, dem das Madchen wahrend des Prozesses zum Inbegriff all der schuldhaften Geschehnisse der Ver- gangenheit geworden war, der sie ab- grfindig zu hassen glaubt, ist erschiittert von dieser letzten, gespenstischen Szene, und seine eigene Hilflosigkeit roacht rsich Luft in. einem abruptenGelachter, Da braust Helga Aufz ■ ,Ja, ich habe ,jloch einen Wunsch … Ich will die heutige Nacht mit diesem Ami verbringen!”

Wfitend und trotzig schreit das Madchen diese Worte heraus, natiirlich ohne den Gedanken an Erffillung ihres Wun- sches. Aber er wird verwirklicht, und zwar ganz anders, als die Umstande es nahelegen. Es handelt sich hier nicht um ein anrfichiges oder gar schlfipfriges Abenteuer, sondern um eine liebende Be gegnung, die alles verwandelt. Es geht Fried von Anbeginn um das Problem der Schuld, und zwar der Schuld auf b e i d e n Seiten, und um die Uberwindung des Hasses durch die Liebe in einem sehr um- fassenden Sinn. Denn in der gemeinsamen Nacht wird Helga endlich fahig, einzu- gestehen, daB sie schuldig ist, aber auch, daB sie ihre frfihere Gesinnung langst auf- gegeben hatte. Und der Soldat kann sich nicht mehr in die Rolle des Anklagers finden. „Denn er war es ja, der Helga fiber ihren Tod trosten und diesen Tod im voraus sfihnen wollte. So waren Helga und der Soldat in einem tiefen Gegensatz vereint. ..”

An den iiuBeren Geschehnissen andem diese umwalzenden inneren Geschehnisse nichts. Helga wird am nachsten Tag hin- gerichtet, und der Soldat erleidet einen schweren seelischen Zusammenbruch. Da- mit schliefit der einfuhrende „Bericht”. Im nun folgenden Teil des Buches bringt Fried dann Aufzeichnungen des Soldaten aus der Nervenheilanstalt und aus der Folgezeit in Amerika. Sie alle sind „Um- schreibungen” dessen, was er mit und durch Helga erlebte. Sie kreisen um Schuld und Vergebung, um das seltsame „Umschlagen” von Geffihlen, wie er es gegenfiber Helga erfahren hat, um die ver- giftende Wirkung des Hasses und um die heilende Kraft der Liebe. Es geht in diesen Reflexionen aber um viel mehr als um das Madchen und den Soldaten. Fried will bewufit einen Beitrag zur Bewaltigung der Vergangenheit leisten, wie einige Stel- len seines Nachwortes erweisen. Er, der selbst als Jude unter dem Naziregime Osterreich verlassen muBte, wendet sich gegen die Unmenschlichkeit, wo immer sie ihm begegnet, und er spricht gleichzeitig fur eine Auffassung der Mensch- lichkeit, „die auch im letzten SS-Mann und stalinistischen NKWD-Offizier immer noch den Mpnschen sucht, auch wenn dieser selbst sich bemfiht hat, die Spuren seines Menschentums zu verwischen”.

Alle diese Reflexionen sprengen natur- gemafi die traditionelle Form des Romans. Fried visiert seine vielschichtigen An- liegen von immer neuen Seiten an, er „umzingelt” sie, um sie zu verdeutlichen. Eine Moglichkeit zugleich, das Hinter- und Untergriindige der Begegnung und ihrer psychischen. Folgen spfirbar zu machen. Aber diese eigenwillige Form des Romans ist alles andere als willkfirlich, sie ergibt sich aus dem Gehalt oder, besser: sie entspricht ihm.

Wie immer man Frieds Ausgang&pynkt gegeniiberstehen mag: die, bier geschjjderte Begegnung- zweier Menschen-, aiy - ent- gegengesetzten Lagern und mit vertausch- ten Rollen — der Gejagte von einst ist nun ja Sieger fiber den frfiheren Peini- ger — bedeutet im Grunde das Hinein- nehmen des Feindes in die eigene Exi- stenz. Genau das Problem also, das uns heute aufgegeben ist und von dessen echter Bewaltigung unser aller Zukunft abhangen wird.

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