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„Unmöglich ist's drum glaubenswert“

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Während der Arbeit an der Ariadne schreibt Hofmannsthal: „Das eigentliche Poetische eines Dichterwerks, der wirkliche Gehalt, wird zunächst niemals verstanden. Verstanden wird nur das, woran nichts zu verstehen ist. Das Höhere, das Wesentliche bleibt unerkannt, ausnahmslos.“ Mit welcher Beharrlichkeit auch dieses Spätwerk Hofmannsthals, „Die ägyptische Helena“, in dem seine Vorstellung der mythologischen Oper ihren reifsten Ausdruck fand, mißverstanden wurde! Er, der fast ein Kind noch, was er später die Substructionen der antiken Geisteswelt nannte, über Bachofens großes Werk in sich aufgenommen hatte — sein inneres Auge war von Anfang an durch die antike Vision geformt —, beschwor wenige Jahre vor seinem Tode noch einmal den griechischen Mythos, während er gleichzeitig am „Turm“ arbeitete, dem großen Trauerspiel, in dem alles diente, „um ein überwältigend Gegenwärtiges zu bewältigen und ihm Gestalt zu geben“.

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Während der Arbeit an der Ariadne schreibt Hofmannsthal: „Das eigentliche Poetische eines Dichterwerks, der wirkliche Gehalt, wird zunächst niemals verstanden. Verstanden wird nur das, woran nichts zu verstehen ist. Das Höhere, das Wesentliche bleibt unerkannt, ausnahmslos.“ Mit welcher Beharrlichkeit auch dieses Spätwerk Hofmannsthals, „Die ägyptische Helena“, in dem seine Vorstellung der mythologischen Oper ihren reifsten Ausdruck fand, mißverstanden wurde! Er, der fast ein Kind noch, was er später die Substructionen der antiken Geisteswelt nannte, über Bachofens großes Werk in sich aufgenommen hatte — sein inneres Auge war von Anfang an durch die antike Vision geformt —, beschwor wenige Jahre vor seinem Tode noch einmal den griechischen Mythos, während er gleichzeitig am „Turm“ arbeitete, dem großen Trauerspiel, in dem alles diente, „um ein überwältigend Gegenwärtiges zu bewältigen und ihm Gestalt zu geben“.

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Am 2. Januar 1920 schreibt Hofmannsthal an Rudolf Pannwitz: „Vorvorgestern und vorgestern fiel mir mit beginnendem Schnupfenfieber sehr vehement etwas Anderes ein, ein viel zarterer Stoff (als Daniae), classiisch-romanitische Phan-tasmagorie: die ägyptische Helena. Menelaos und Helena, auf der Rückfahrt vom brennenden Troja, verbringen eine Sturmnacht auf einer kleinen Insel — und hier, in einer Grotte, erscheint ihnen, während sie nachtmahlen, das Phantom, jene andere Helena — und zwischen den drei Figuren entwickelt sich etwas, ein Spiel, das den platonischen Dialogen verwandt sein könnte und mit dem willigen Selbstbegräbnis des Phantoms schließt. Phorkyaden und Lemuren bilden den Chor — den sprechen zu machen ich mir von Ihren mythischen Sprachdämonien soviel aneignen will als meine Natur verträgt — aber componieren will ich dies kleine Ding nicht lassen.“ Die Dichtung wurde schon bald darauf als Oper in zwei Akten konzipiert, deren Physiognomie von Hofmannsthal charakterisiert wird: Der erste flutend, der zweite feurig fast drängend; der erste geht auf Traum und Trug, der zweite auf Wahrheit. Im Rückblick, neun Jahre nach dem ersten Einfall, sagt er in einem Brief an einen jüngeren Freund: „Sie bezeigten mit einigen Worten eine freundliche Anteilnahme an dem Helena-Gedicht, so schicke ich es Ihnen, in der bescheidenen Form des Operntextbuches. Es ist auch ein solches, und will es durchaus sein; in der Struktur fügt es sich den Bedingungen, unter denen ein Bestehen auf der Opernbühne möglich ist, und im Rhythmischen schmiegt es sich dem Gesang entgegen, arienhaften Momenten, wechselnd mit einer höheren Decla-mation (in der ja Strauss sehr stark ist) und behält bei alledem noch alle Freiheit, die ich je in meinen .Kleinen Dramen' hatte oder mir nahm. So erachte ich diese Gebilde (Ariadne schon vorher) als der .Kleinen Dramen' zweite Reihe. Ebenso wie diese — sehr berühmt, sehr wenig erkannt, um dies in Parenthese beizufügen — sind sie auch äußerst subjective, tief im Subject wurzelnde, Gedichte; aber die guten Deutschen haben davon unter dem Schlagwort des Bekenntnishaften auch recht grobe Begriffe. Ich habe über die „aegyptische Helena' etwas aufgeschrieben, in einer sehr eingänglichen, fast zu sehr condeszendierenden Form, aber zum Schluß versuchte ich etwas Wahres über diese Form des lyrischen Dramas zu sagen. Vielleicht ist es Ihnen vor Augen gekommen, es war vielfach abgedruckt, zuletzt im Irasel-Almanach auf 1929. Den tiejsten Antrieb zu einem Gedacht kann man nicht aufdecken — er verhüllt sich einem selber, oft hat nur die entscheidende Secunde ihn ahnen lassen — aber hier war, unter anderem, dies im Spiel: die wunderbare unbegreifliche Wahrheit einer solchen Ehe wie Menelaos — Helena (wie sie uns durch die Augen Homers als zauberisches Gegenbild der Odysseus-Ehe und der Agamemnon-Ehe entgegentritt — und sind dies nicht die drei ewigen Ehen?) diese zauberhafte Wahrheit nicht als bewiesen hinnehmen, sondern sie sich selber dichterisch beweisen.

Die Deutsehen bleiben immer am Stofflichen hängen, aber wo im Stoff selber ein Geheimnis liegt, das sich nicht mit Händen greifen läßt, da bleiben sie ganz im Vorhof. Gestalten wie diese Helena können sich nicht in Worten commentieren; das tut die Heiana im zweiten Faust aber sie will auch gar nicht primäre Gestalt sein, sondern bewußtes Gespenst, das sich selber beschwört. Eine solche Gestalt (hier meine ich die meinige) müßte man in ihrer Haltung erfassen — in dem, wie sie in jeder Lage souverän bleibt, völlig Frau, aber Göttin, mit einem Menschen vermählt — aber wie sollten Deutsche eine Haltung gewahren, eine Characteristik, die nicht im Reden, sondern in einer Form des Handelns liegt?“

„Ich bin durch diesen Stoff“, sagte er in einem Gespräch mit Paul Stefan 1926, ,,in die gleiche Mythenwelt geführt worden, die im Helena-Fragment auch Goethe bezauberte. Diese

Mythen sind ganz zeitlos, ewige Chiffren für das Seelenhafte, die man immer wieder neu zusammensetzen kann.“

In uns überkommenen Notizen Hof-miannsithals heißt es: „Helena: ich nehme die Figuren, die Welt ganz wirklich — sie sind für mich wirklich — wer das nicht versteht, dem kann ich nicht helfen. Das ist eine Welt — wer sie geschaffen hat — Homer — was weiß ich. Goethe stand ebenso dazu. Ist das epigonisch so weiß ich nicht was nicht epigonisch ist — außer dem Chaos. Die Beziehungen der Figuren zueinander sind sehr genau wirklich. Sie erscheinen mir wirklicher als in einer psychologischen Comödie. Hinter uns ist eben noch etwas immer und überall. Die Pathologien sind voll davon. Man glaubt also daran ärztlich, hinter'm Rücken — nur nicht vorne. Menelaos liebt seine Frau — hat ein Kind mit ihr — sieht ein er muß sie töten — wird betrogen, läßt sich betrügen, erwacht halb aus dem Betrug. Er ist heroisch und pathologisch. Sie ist eine Göttin, ist teilhaftig des oberen Schicksals, ist aber Frau im unteren Schicksal — verführt durch Gewalt, nicht durch Kunststückchen, atmet andere Luft. Und dann: Die Relationen der Figuren nicht global, sondern das Geheimnis, das schicksalhafte zwischen Menschen zusammenfassend: Menelaos ist in Helena verfangen — sie das ewige Paar.“

Es kam Hofmannsthal darauf an, mit Hf«r Ä pvnti.qphpn Helena, wie es auch im Ad me ipsum gesagt wird, „zu beweisen, was sonst als bewiesen angenommen wird“. Wie er es tat, gehört zum Schönsten und zum Verkanntesten, das er uns hinterließ, ein Zeugnis jener tragischen Lebens-stimmung, vor der Trennung und Vereinigung, Streit und Friede, Schmerz und Glück, Notwendigkeit und Freiheit, Schicksal und Willen „im Tiefsten sich als eines offenbaren“.

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