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Helena - kein Phantom

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Am 6. Juni 1928 wurde in der Dresdner Staatsoper das zehnte Bühnenwerk von Richard Strauss uraufgeführt. Es war die letzte Premiere eines seiner Libretti, die Hofmannsthal erlebte, und es war, vor 1933, die letzte künstlerische Manifestation in Deutschland, zu der sich die internationale Kulturprominenz aus zwei Weltteilen einfand. Vom ersten Augenblick seines Erscheinens an war allen Wissenden klar, daß hier kein Werk für jedermann und für den Opernalltag ans Licht getreten war. Das lag, ganz einfach, an dem Anspruch, den es an Ausführende und Publikum stellt, an deren Geschmack, Kombinationsgabe und Phantasie. Aber erfolglos war „Die ägyptische Helena“ keineswegs. In den ersten sechs Jahren nach der Premiere wurde sie allein in Dresden 50mal gegeben, in Wien, das bereits fünf Tage nach Dresden eine Neuinszenierung unter der Leitung des Komponisten mit Maria Jeritza in der Titelrolle brachte, wurde das Werk bis 1930 insgesamt 30mal gespielt. Danach folgte, ab 1933, die Neufassung durch Clemens Krauss, In welcher wir die zweiaktige Oper auoJh.

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Am 6. Juni 1928 wurde in der Dresdner Staatsoper das zehnte Bühnenwerk von Richard Strauss uraufgeführt. Es war die letzte Premiere eines seiner Libretti, die Hofmannsthal erlebte, und es war, vor 1933, die letzte künstlerische Manifestation in Deutschland, zu der sich die internationale Kulturprominenz aus zwei Weltteilen einfand. Vom ersten Augenblick seines Erscheinens an war allen Wissenden klar, daß hier kein Werk für jedermann und für den Opernalltag ans Licht getreten war. Das lag, ganz einfach, an dem Anspruch, den es an Ausführende und Publikum stellt, an deren Geschmack, Kombinationsgabe und Phantasie. Aber erfolglos war „Die ägyptische Helena“ keineswegs. In den ersten sechs Jahren nach der Premiere wurde sie allein in Dresden 50mal gegeben, in Wien, das bereits fünf Tage nach Dresden eine Neuinszenierung unter der Leitung des Komponisten mit Maria Jeritza in der Titelrolle brachte, wurde das Werk bis 1930 insgesamt 30mal gespielt. Danach folgte, ab 1933, die Neufassung durch Clemens Krauss, In welcher wir die zweiaktige Oper auoJh.

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Das Sujet, wollte man es auf eine knappe Inhaltsangabe reduzieren, ist keineswegs so kompliziert, wie es uns manche Kommentatoren glauben machen möchten. Bereits im vierten Gesang der Odyssee wird von Helena und Menelaos nach dem Ende des Trojanischen Krieges berichtet, wie sie in Sparta, als ob nichts geschehen wäre, friedlich residieren. Euripides und nach ihm Stei-sichoros wußten eine andere Version: Die echte Helena sei nach ihrer Entführung „entrückt“ worden, und Griechen und Trojaner hätten sich um eines Gespenstes, eines Phantoms willen umgebracht, das sich mit Paris und zehn oder zwölf weiteren Söhnen des Priamos in Troja zehn Jahre lang vergnügt hatte. Wie reagiert auf dieses „Intermezzo“ Menelaos — nachdem er Helena zurückerobert und den Paris getötet hatte? In Hofmannsthals Version greift eine ägyptische Zauberin ein, indem sie dem von Eifersucht und quälenden Erinnerungen geplagten Menelaos, der sich mit Helena auf der Heimreise nach Sparta befindet, einen Vergessens-trank reichen läßt. Aber Helena will diesen Betrug nicht Nachdem der rasende Menelaos den jüngsten Verehrer Helenas, Da-ud, des Wüstenkönigs Altair Sohn, getötet hat und seine (und Helenas) Tochter Her-mione erschienen ist, findet er sich mit Helena und ihrem Schicksal ab, versöhnt sich mit dem seinen und nimmt seine Gattin, die berühmteste, die schönste und gefährlichste Frau, teile quelle. (Weiteres über Hofmannsthals Libretto, das Kurt Pahlen in seinem Buch „Oper der Welt“ als eine „herrliche Dichtung, ein mythisches Gedieht voll erdentrückter Schönheit“ bezeichnet, auf der Literaturseite dieser Nummer.)

Die Musik von Richard Strauss haben wir zuletzt in einer konzertanten Aufführung im Musikverein während der Wiener Festwochen 1961 unter Josef Krips gehört, der auch die Premiere in der Staatsoper am vergangenen Samstag dirigierte. Sie ist prunkvoll-gefällig, hymnisch und von feierlicher Pracht. Diese

Partitur enthält weder Rezitative noch richtige „Arien“, Man könnte sie als „arios fließend“ bezeichnen. Als man ihm einen Rückfall vorwarf, meinte Strauss: „Wagnerisch, meinen Sie? Aber dann ist es ein griechischer Wagner.“ Durchaus dominieren die weiblichen Stimmen: Helena und die Zauberin Aithra, sieben Dienerinnen, vier Elfen, die alles wissende Muschel — und zum Schluß noch Hermione. Gwyneth Jones spielte und sang eine hoheitsvoll-kokette Helena mit vollendetem Wohllaut, Mimi Coertse, nicht immer ohne Schärfe, eine gut charakterisierte Aithra, Jess Thomas einen psychologisch glaubhaft angelegten und interessanten Menelaos, Peter Glosopp einen stimmgewaltigen Wüstenfürsten (Altair). Peter

Schreier gab dem jugendlich-schwärmerischen Da-ud die richtige Kontur, der schöne Alt Margarita Lilo-was (die alles wissende Muschel) war durch Lautsprecher bis zur Unkenntlichkeitt verfremdet; sehr hübsch und anmutig Edito Grube-rova als Hermione. Jean-Pierre Ponnelle hat sich wieder einmal als Zauberer der Bühne bewährt. Aithras Schloß auf der Insel wirkte wie ein einziges kostbares Geschmeide, das aus Tang-und Muschelform gebildet ist: silbrig und in stets wechselnder Beleuchtung; zu groß und zu sehr in den Mittelpunkt gerückt: die alles wissende Muschel. Um so schöner der Schluß des ersteh Aktes: Menelas (wie er bei Hofmannsthal heißt) und Helena in einer riesigen blauen Rocaille liegend. Dann ein jäher Wechsel der Farben und Formen im zweiten Akt: gelbbraune Wüstenei, das riesige Zelt und die phantastischen Kostüme von Altair, Da-ud und ihrer Kriegerscharen, der Dienerinnen und Sklaven. Das kam, in seinen noblen und exotisch-märchenhaften Farben und Formen, der Vorstellung Hofmannsthals wohl sehr nahe... Bei Hermione wich man von den Anweisungen des Dichters ab: Hofmannsthal wollte sie „auf einem weißen Roß, völlig in Gold gekleidet, wie eine kleine Göttin“. Ponnelle ließ diesen anmutigen Teenager in weißem antiken Minilook auftreten. Auch nicht schlecht Rudolf Hartmann, mit dem schwierigen Werk seit vielen Jahren vertraut, hat die Aktionen und die Personen gut geführt. Josef Krips, gleichfalls ein Kenner und Liebhaber dieser kostbaren Partitur, ließ das Orchester in Wohllaut schwelgen. Daß man vom Text, besonders im ersten Teil, fast nichts verstand, ist und bleibt — bei genügend starken Stimmen und aller wünschenswerten Zurückhaltung des Orchesters — das ureigene Geheimnis (nicht nur dieser Partitur) von Richard Stragvss (so wie es das Geheimnis von Debussys Oper „Pelleas et Melisande“ ist, daß man trotz der fremden Sprache jedes Wort versteht). Apropos Wagner: Es gibt da eine Stelle im zweiten Akt, wo der von Menelas getötete Fürstensohn hereingetragen wird: Da stellt sich eine Reminiszenz an die „Götterdämmerung“ ein: Die schwarzen Mannen mit Da-uds Leiche...

In ihrer neuen — von Rudolf Hartmann noch um einiges reduzierten — Form hat die Oper vorbildliche Proportionen: zwei Akte von je einer Stunde Dauer. Vielleicht wird sie jetzt wieder öfter gespielt werden. Freilich: die Ansprüche an die Zahl und Qualität der Frauenstimmen werden nur große Opernhäuser erfüllen können. — Alle Beteiligten wurden lebhaft, Josef Krips und das Orchester demonstrativ gefeiert

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