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Verbindende Menschlichkeit

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MODERNE SPANISCHE ERZÄHLER. Auswahl und Einführung von Oonzalo Sobejano. 248 Seiten. Preis 14.80 DM. — GLANZ UND B LUT. Roman von Ignacio A 1 d e c o a. Dreihundert Selten. Preis 14.80 DM. — MIT DEM OSTWIND. Roman von Ignacio A 1 d e c o a. 258 Seiten. Preis 16.80 DM. Alle lm Bachem- Verlag, Köln.

Der Sammlung „Moderne spanische Erzähler” ist eine Einführung des Herausgebers Gonzalo Sobejano vorangestellt, in der er ausgezeichnet die typischen Merkmale der zeitgenössischen Literatur jenseits der Pyrenäen umreißt, ihr Verhältnis zur spanischen Tradition und die neuen Elemente im Schaffen jener Schriftsteller, die nach dem Bürgerkrieg, also seit 1939, zu Wort gekommen sind. Sobejano stellt in der Anthologie repräsentative Vertreter der sogenannten „Kriegsgeneration” (Camillo Jose Cela, Carmen Laforet, Miguel Delibes) und der „Generation der Jahrhundertmitte” (Ana Mariia Matute, Rafael Sänchez Fer- losio, Ignacio Aldecoa, Jesus Fernän- dez Santos, Juan Goytisolo, Luis Goytisolo) vor, die alle stark vom Erlebnis des spanischen Bruderkrieges und seiner Folgeerscheinungen beeindruckt sind.

Im Gegensatz zu ihren unmittelbaren Vorgängern, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine in ihren Aspekten und Formen individualistische und subjektivistische Erzählkunst kultivierten, sind die jungen spanischen Autoren Vertreter eines neuen Realismus, der sich sowohl in ihren Formen als auch in ihren Vorwürfen abzeichnet. Ihr gemeinsames, allerdings vielschichtig abge- wa-ndeltes Thema ist die spanische Wirklichkeit von heute mit ihren sozialen Gegensätzen, der wirtschaftlichen Not und der Beschränkung der Freiheit breiter Schichten. Sie sind sich einig in ihrem Protest gegen die bestehenden Ungerechtigkeiten. Aber ihre Anklage äußert sich weniger in negativer Kritik als in einer objektiven Zustandsschilderung des harten Lebens gerade der einfachen Schichten: der Arbeiter, Bauern, Fischer und der verarmten Bourgeoisie; sie rückten den leidenden, hilflosen, gequälten Menschen ins Blickfeld, seine Schwierigkeiten, mit dem Leben fertig zu werden. Und es gelingt ihnen, den oft grauen, ja düsteren Hintergrund durch eine schlichte, anspruchslose Menschlichkeit zu erhellen.

Um die mitmenschlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten kreist auch der Roman „Glanz und Blut” des jungen Basken Aldecoa. Er schildert einen einzigen Tag in der sogenannten Zitadelle, einer ehemaligen Befestigungsanlage in der kastilischen Hochebene, die inzwischen zur Behausung der Landgendarmerie des Bezirkes geworden ist. Es ist ein schicksalsschwerer Tag, an dem die Meldung kommt, einer der Außenposten sei von einem Zigeuner niedergeschossen worden. Die Ungewißheit, wer es ist, wird unerträglich, besonders für die Frauen der Gendarmen, von denen eine ja ihren Mann verloren hat, wenn der Tote nicht der unverheiratete Korporal ist. Die ganze Last ihres eintönigen Lebens in der abgelegenen Zitadelle, gegen die diese Frauen sich ständig aufbäumen, wird da offenbar in den Gesprächen um das verhängnisvolle Ereignis, in die Erinnerungen an das frühere, vom Bürgerkrieg beschattete Leben hineingewoben sind. Aber, da ist auch noch etwas anderes: Es zeigt sich, daß die Handvoll Menschen, die sich in ihrem langweiligen Alltag so oft aneinander gerieben haben, zu einer festen kleinen Gemeinschaft zusammengewachsen ßind, in der jeder, wenn es not tut, für den anderen einsteht und ihm zu helfen versucht.

Der neue Roman Aldecoas „Mit dem Ostwind” knüpft an die Geschehnisse des ersten an, schildert die Geschichte des Zigeuners Sebastian, der den Korporal getötet hat Es ist die dunkle Geschichte eines Mannes, dessen Leben von Anbeginn unter dem Zeichen der Angst steht. Aus Angst trinkt er zuviel und schließt eich fragwürdigen Kumpanen und Frauen an. Aus Angst erschießt er den Polizisten während seiner Verfolgung nach einem Gewaltstreich. „Ich tötete ihn…, ohne es zu wissen. Ich schoß, ohne schießen zu wollen…”

Und die Angst wächst ins Ungeheure auf Sebastians Flucht nach der Tat. Teils zufällige, teils gesuchte Begegnungen — mit einem alten Freund, einer Dime, einem Mann, der 20 Jahre eine Schuld im Gefängnis abbüßte und ein Weiser mit einem großen Herzen geworden ist, mit einem fröhlichen, zufriedenen Landstreicher und schließlich mit seinen Verwandten — geben kurzen Augenblickstrost, um den Zigeuner, wenn er wieder allein ist, in noch tiefere Einsamkeit zu stürzen. Eingeblendete Erinnerungen Sebastians — eine Technik, die Aldecoa häufig und souverän verwendet — decken die geradezu höllische Vergangenheit des jungen Mannes auf: ein Leben ohne Weg und Ziel, das immer billiger und schließlich verspielt wird. Allgegenwärtig ist immer nur die Angst, „Angst vor seinem Vater, vor seinen Verwandten, vor den Gendarmen, vor dem Hunger, vor der Krankheit..Bis schließlich diese Angst, in der letzten Einsamkeit einer ausweglosen Flucht und im immer drückenderen Gegenüber mit seiner Schuld, von Sebastian abfällt. Nach einer makabren Trinkorgie stellt er sich den Gendarmen.

Der Roman erweist von neuem Aldecoas ursprüngliches Erzähltalent. Seine Prosa ist karg, prägnant und zugleich anschaulich, und sein manchmal krasser Realismus erhält durch poetische Einschläge einen besonderen Akzent.

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