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STERREICH EIN LEBEN LANG. Idee und Gestaltung: Peter T u 1 p i n, unter der wissenschaftlichen Mitarbeit von Doktor Ludwig J e d 1 i c k a. Geschichtlicher Essay von Friedrich Heer. 274 Seiten. Preis 320 S. - DER ANDERE HERR KARL. Ein österreichischer Bilderbogen, kommentiert von Othmar Franz Lang. 109 Seiten. Preis 138 S. Beide: Österreichischer Bundesverlag, Wien, 1962. - DER STAAT, DEN KEINER WOLLTE. Österreich 1918 bis 1938. Von Helmut A n d i c s. Verlag Herder, Wien, 1962. 564 Seiten. Preis 160 S.

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STERREICH EIN LEBEN LANG. Idee und Gestaltung: Peter T u 1 p i n, unter der wissenschaftlichen Mitarbeit von Doktor Ludwig J e d 1 i c k a. Geschichtlicher Essay von Friedrich Heer. 274 Seiten. Preis 320 S. - DER ANDERE HERR KARL. Ein österreichischer Bilderbogen, kommentiert von Othmar Franz Lang. 109 Seiten. Preis 138 S. Beide: Österreichischer Bundesverlag, Wien, 1962. - DER STAAT, DEN KEINER WOLLTE. Österreich 1918 bis 1938. Von Helmut A n d i c s. Verlag Herder, Wien, 1962. 564 Seiten. Preis 160 S.

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angelegten Bildwerkes. An die Stelle der Dokumentation tritt ein vordergründiges Moralisieren, und statt echter Aussage wird ein etwas rosiger Aufbauoptimismus angeboten. Natürlich sind wir froh, daß die Zweite Republik stattliche Leistungen auf vielen Lebensgebieten statt Ruinen zeigen kann; selbstverständlich ist es besser, ein blühendes Land als im Bruderkrieg Gefallene darzustellen. Aber auf das Wie kommt es an. Und der gehobene Fremdenverkehrsprospekt ist gewiß kein nachzueiferndes Vorbild. DaS auch die Gegenwart durch eine unkonventionell arbeitende Kamera einzufangen ist, zeigt das Bild auf Seite 187: „Arbeiterhaushalt — vollautomatisiert!“

Eindrucksvoll auch jenes, das hinter dem Sarg des Bundespräsidenten Körner den einsam schreitenden Bundeskanzler Raab zeigt (S. 174). Über lyrische Aufnahmen wie jener auf Seite 101 kann man diskutieren. Luftballons (S. 156) und Plantschbecken (S. 157) wären aber besser herausgeblieben; ebenso Seite 190 und 191: unästhetische Fresser gibt es überall. Der Volkstanzboden (S. 243) ist 1962 zum Hotkeller wirklich keine Alternative mehr. „Auf freiem Fuß in eine neue freie Zeit!“ Läßt sich dieser Gedanke heute wirklich nur durch die (übrigens gar nicht so hübschen) Beine eines Mannequins symbolisieren (S. 171)? Wenn ja, dann können wir dieser neuen Zeit nur mit sehr gemischten

Gefühlen entgegensehen. Ein letztes: Geht es auch 60 Kilometer westlich des Eisernen Vorhangs wirklich nicht ohne „Reste des Personenkults“? Schade.

Das waren nur einige Hinweise, wo hei der wünschenswerten Neuauflage die Feile einer gründlichen Überarbeitung anzusetzen hätte. Oder haben wir uns vielleicht geirrt? Wollten Herausgeber und Verlag gar keine illustrierte Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, sondern nur einen harmlosen österreichischen Bilderbogen herstellen? Wenn ja, dann wäre jene Aufgabe, die wir meinen, vom Österreichischen Bundesverlag oder von einem anderen Verlag noch zu erfüllen. Je schneller, desto besser. So aber stehen wir wieder einmal einer verpaßten Gegenheit, einer österreichischen Tragödie im Kleinen, gegenüber: mit halben Mitteln und zu halber Tat...

Ein österreichischer Bilderbogen und nicht mehr: Das ist ohne Zweifel „Der andere Herr Karl“. Er will gar nicht mehr sein, er soll es auch nicht. Und deshalb gibt es auch in diesem zweiten Bildband, den der Österreichische Bundesverlag uns vorlegt, keinen Stilbruch. Hier ist alles Feuilleton. Mit dessen Maßstäben gemessen, ist es seinen Gestaltern, unterstützt durch den launigen Text Othmat Franz Längs, gelungen, ohne die Welt des Herrn Karl in Abrede zu stellen, ihr eine Gegenwelt entgegenzusetzen. Und dies ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit Scherz, Ironie — und tieferer Bedeutung.

Nach dem Bild die Prosa. Wie muß man sie einsetzen, um das Wissen möglichst vieler junger und auch nicht mehr ganz so junger Österreicher über die Geschichte und die Geschicke ihres Landes zu vertiefen? Helmut Andics gibt eine Antwort in dem Vorwort zu seinem Buch „Der Staat, den keiner wollte“: Diese Arbeit über die Geschichte der Ersten Republik schrieb ich nicht als Geschichtswerk für Historiker, sondern als zeitgeschichtliche Reportage für den Österreicher von heute, vor allem für jenen, der die Zeit von 1918 bis 193 noch nicht oder zumindest noch nicht mit politischem Bewußtsein erlebt hat.“ Das Ergebnis ist uns bereits aus den Fortsetzungen, die in der „Presse“ erschienen sind, seit längerem bekannt. Der Verlag Herder hat Andics' zeitgeschichtliche Reportage nun als Buch herausgegeben. Ein Entschluß, der zu begrüßen ist. Mag der Historiker vom Bau da und dort vielleicht manche Korrektur anbringen, hat vielleicht dieser oder jener Zeitgenosse einzelne historische Details mit anderen Augen gesehen, so wird man ohne Zweifel Andics' Bemühen um eine „leidenschaftliche Warnung an die Gegenwart, nie wieder die selbstmörderischen Fehler der Vergangenheit zu begehen“, gerne anerkennen. Die Reportage hat die Zeitgeschichte entdeckt. Mögen ihr auf diesem Weg jene vielen begegnen, die sonst gegenüber Frau HistQria „karitaktscheu“ sind.

PS.: Der Verfafser gebraucht gerne für katholische Politiker oder für eine von stärkeren weltanschaulichen Bindungen bestimmte Politik das gute alte Wort der Kulturkampfzeit „klerikal“ (zum Beispiel S. 280, 417 u. a.). Hier hätte eigentlich ohne Zweifel und ohne viel Mühe das Lektorat des Verlages Herder für Abhilfe sorgen können.

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