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Von nun an ging's bergauf...

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Es sieht so aus, als hätte Hildegard Knef mit ihrem dicken Buch den größten, schönsten und unbestrittensten Erfolg ihres Lebens. Und dies nicht nur wegen der hohen Auflage (50.000 Exemplare wurden gedruckt, weitere 50.000 vorläufig bestellt), sondern dieser Lebensbericht wird ihr vielleicht mehr Sympathie eintragen als ihr künstlerisches Wirken als Theater- und Filmschauspielerin — wobei dieses nicht herabgesetzt werden soll. Wir meinen etwas anderes: Dem Menschen und der Künstlerin Hildegard Knef wurde nichts geschenkt außer eben diesem „Gaul“, dem Leben, das man so nehmen muß, wie es ist.

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Es sieht so aus, als hätte Hildegard Knef mit ihrem dicken Buch den größten, schönsten und unbestrittensten Erfolg ihres Lebens. Und dies nicht nur wegen der hohen Auflage (50.000 Exemplare wurden gedruckt, weitere 50.000 vorläufig bestellt), sondern dieser Lebensbericht wird ihr vielleicht mehr Sympathie eintragen als ihr künstlerisches Wirken als Theater- und Filmschauspielerin — wobei dieses nicht herabgesetzt werden soll. Wir meinen etwas anderes: Dem Menschen und der Künstlerin Hildegard Knef wurde nichts geschenkt außer eben diesem „Gaul“, dem Leben, das man so nehmen muß, wie es ist.

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In ihrer schwierigen Kindheit wurzelt vieles, fast alles, was sie antrieb und beschwerte. Ihr Vater starb mit 28 Jahren, als sie sechs Monate war, die Mutter, berufstätig, konnte sich nicht sehr viel um sie kümmern. „Da waren ewig neue, endlose, zahllose familienzermürbende Krankheiten, Tropfen- und Tablettenströme.“ Da war Angst, Angst vor dem Alleinsein und vor der Dunkelheit, aber da gab es auch einen gütigen Großvater, polnischpreussischer Abstammung, der sich mit 81 Jahren das Leben nahm. Mit ihm hatte das Kind seine glücklichste Zeit. Er fütterte sie winters mit Anisbonbons und sommers mit grünen Äpfeln. Aber auch das hat sie überlebt, wie später das Kriegsende mit Bomben, Hunger und Not in Berlin, zuletzt in einem russischen Kriegsgefangenenlager.

Die späteren Phasen ihres Lebens sind bekannt: Schauspielschule und erste kleine Rollen in Berlin, dann größere im Berliner Schloßparktheater und im deutschen Nachkriegsfilm, danach in Hollywood, wieder in Deutschland, noch einmal in Amerika am Broadway und schließlich wieder in Deutschland, aber auch in Frankreich, England und Amerika, wo sie in insgesamt dreizehn Filmen mitgewirkt hat.

Das alles schildert sie ohne Prätention, ohne Selbstmitleid, man möchte sagen: brillant, wenn der Reiz ihrer Schilderungen nicht in ihrer Spontaneität und schmucklosen Wahrhaftigkeit läge. Natürlich wurde besonders in Kollegen- und Literaturkreisen die Frage diskutiert, ob sie dieses Buch auch selbst geschrieben hat. Sie hat es. Das kann ihr der gelernte Philologe auf Grund stilistischer. Merkmale und Kriterien bezeugen. In diesen ungeschminkten Lebensbericht hat nicht einmal ein Lektor retuschierend eingegriffen. Vielleicht hat man ihr ein paar Seiten oder Sätze gestrichen, das kann sein, denn die Wahrheiten, die sie, besonders auch über einige unangenehme Zeitgenossen, zum besten gibt, sind nicht immer angenehm. Mehr Kamerad und Kumpel als

Diva, und Jdol» ergaben sich in ihrem Leben oft Situationen, die von manchen Männern mißverstanden wurden und durch eine Ohrfeige berichtigt werden mußten. Doch ist hir Lebensbericht ganz und gar keine Rache an denen, die sie j gekränkt oder ausgenützt haben, ebensowenig eine Sammlung von Praminentenhistörchen, obwohl viele berühmte Männer und Frauen ihren Weg gekreuzt haben. Da sind zunächst die Kollegen vom Fach, im weiteren , Sinn, wie De Kowa und Barlog, denen sie in Dankbarkeit verbunden ist. Da sind ihre vielen Partner im Film, aber auch Henry Miller und Wilhelm Furtwängler. Von vielen zeichnet sie Kurzporträts, die einen gerissenen Literaten neidisch machen könnten. Am rührendsten ist wohl ihre Schilderung der Marlene Dietrich, der geborenen deutschen Offizierstochter Magdalena von Losch, die sich in Amerika der jungen Anfängerin annahm: es war gegenseitige Sympathie auf den ersten Blick.

Zwei kurze Proben ihrer Schilderungskunst: „Vater hieß Theodor, war groß, war wild, war rastlos, war rothaarig, durcheilte Leben, durcheilte Berufe wie Schnellzüge Stationen. ... war verzweifelt. Ich hätte ihn gerne kennengelernt.“ Und dann ihr erster Mann, den sie, in amerikanischer Uniform, im Nachkriegsberlin kennenlernte: „Das war der jähzornig Bornierte aus dem Jeep. Er hieß Kurt Hirsch, wurde später der Assistent von Erich Pommer, noch später ein mir Angetrauter und wesentlich später ein von mir Geschiedener.“ In dieser Art wird die Privatsphäre geschont, und gerade in dieser Hinsicht könnten viele Schreibende sich an der „Sünderin“ ein Beispiel nehmen. Ein Höhepunkt dieses Lebensberichtes ist der Schluß: die Schilderung, wie sie ein Kind bekommt, ein gesundes Mädchen, das sie Christina nannte (Seit 1962 ist Hildegard Knef mit dem Schauspieler und Regisseur David Cameron-Palastanga verheiratet. Vater Italiener, Großvater Grieche, Mutter Schottin.) Ein anderer Höhepunkt für den deutschen Leser ist die Schilderung einer Musicalprodiuktion am Broadway und der Strapazen einer Tournee, bei der dieses zweifelhafte Produkt aus Kunst, Spekulation und Technik aufgeführt wurde: der innere Kreis der Hölle! Aber Hildegard Knef war und ist groß im Überleben, auch ungezählter Krankheiten, d&j, an einer bestimmten Stelle ihres Buches, eine ganze Seite füllen. Und das schon ein wenig abgegriffene Rilke-Wort gewinnt, auf sie bezogen, neue Bedeutung: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles!“

DER GESCHENKTE GAVL. Bericht aus einem Leben. Von Hildegard Knef. Molden-Verlag, Wien-München-Zürich, 469 Seiten, S 182.—.

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