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Wider das Goldene Kalb

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Arthur Miller wählt die direkte Form des Angriffs. Er nennt beim Namen, heute und hier, was er als das Böse, die Sünd („Sonderung”), unserer Gesellschaft ansieht: den fälschlich Familiensinn genannten Clan-Egoismus des kapitalistischen , V r ienertums, das wein, Krebsgeschwür. die demokratische Gesellschaft durchwuchert; Er führt die Auseinander-. le’tng iäif dem verh’äftrflsmtiftg töttäkt gebliebenen guten Gewissen der amerikanischen Unabhängigkeitsdemokratie, die sich eben zur Entstehungszeit des Stückes erneut in einem Sieg über die Tyrannis auf der Welt bestätigt hatte. „Alle meine Söhn e”, das sind die Bürgersoldaten dieses Landes, an denen der Kapitalist Joe Keller Verrat geübt hat. Sein eigener Sohn fordert ihn namens der Toten vor ein Tribunal, dessen überaus deutlich ausgesprochenem Schuldspruch er sich nur durch Selbstmord entziehen kann. Die Gegensätze dieses, weder die große Schule noch die handfeste Enthüllungstechnik des europäischen Sitten- und Gesellschaftsdramas verleugnenden Stückes stehen einander in jugendlich klarem Schwarz-Weiß gegenüber, ln der Inszenierung des Theaters in der Josefs t-a dt verstärkt Heinrich Schnitzler diesen Farbkontrast noch. Die große Kunst dieses

Regisseurs, Atmosphäre zu geben, Bedeutungen aufleuchten zu lassen, überlastet das dafür nicht ganz geeignete, derb gezimmerte Jugendwerk etwas. Inge Fiedlers Bühnenbild müht sich ebenfalls ein wenig zu deutlich um Symbolismus. Von den Schauspielern überzeugten die am meisten, die am wenigsten zelebrierten und „nachdrückten”. Dies waren Grete Zimmer, die wie immer ausgezeichnete Helly Servi, in ihrer natürlichen Zurückhaltung Felicitas Ruhm, von den Herren der seine Manier klug dämpfende Jochen Brockmann.

Jean Giraudoux führt den Kampf gegen das „Goldene Kalb ungleich differenzierter, zeitloser und damit wirkungsvoller. Für ihn ist seine Herrschaft nicht nur auf den klassischen Kapitalismus beschränkt, es ist überall dort an der Macht,

wo die von Bernanos in seiner ersten Nachkriegsvision gesehenen „Hände” raffen, wo die Menschen in den Kreislauf von Gier und Blindheit geraten. Wer ihn durchbrechen will, muß bei denen in die Schule gehen, die die „Armen im Geiste” sįiid, bęi deij, „Idiotei)” , ynd Kiridern oder bei der j.r.lĄn von Cįai11 U’H deren Reich sich ęitien begiiickęnden, gar nicht gehu’g läng dauern könnenden Abend im Akademietheater ausbreitet. Ja, hier wird die neue Carmagnole getanzt, die neue- Melodie einer gewaltlosen Revolution von morgen angestimmt. Günther Rennerts Regieleistung lag darin, den Individualfall der irren Gräfin, die die Welt von ihren Blutegeln erlöst, nicht übertrieben als Solo auszupinseln, sondern in das Gesamt eines Ensembles hinein- zustellen, wie es eben nur die erste Bühne des Landes bereitzustellen vermochte. In einem von Ita Maximowna beglückend auf die Bühne gezauberten Traum-Paris führte Alma Seid1er das närrische Königszepter —, in jeder Nuance vollendet, im köstlichen Terzett der Narrenweisheit mit Adrienne G e s s n e r und Eva Zi1cher um die Palme streitend. Die anarchisch-humane Freiheitsbotschaft tremolierte mit Bravour Manfred Inger, die Herzenskantilene gelang Christiana Hörbiger vollendet. Den Kontrapunkt der bösen Brutalität setzte in kluger Wandlungsfähigkeit „Held” Fred Liewehr. Der Beifall wollte kein Ende nehmen.

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