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Das jüngste Werk Daniel van Rops

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Es ist nicht zu verwundern, daß auch in neuerer Zeit große Künstler und Schriftsteller versucht haben, die Figur, und das Leben Jesu neu zu erfassen und zu gestalten. Sogar in den nördlichen Ländern, wo die wissenschaftliche Forschung das unmittelbare Erleben oft gehemmt und nicht selten überwuchert hat, fehlte es nicht an solchen Versuchen„ wie zum Beispiel bei dem großen niederländischen Romanschriftsteller Arthur van Sehende 1, dessen „De man van Nazareth“ jedoch eine Enttäuschung war.

Glücklicher zeigten sich die Resultate bei den südlichen Völkern, die sich scheinbar leichter über den wissenschaftlichen Ballast erheben konnten, um mit intensiverer Einfühlungsgabe die überragende Persönlichkeit Jesu oder seiner Jünger zu erleben und neu darzustellen. Es ist erfreulich, daß gerade einige der meist angesehenen Schriftsteller sich mit pietätvoller Hingabe und gläubiger Ehrfurcht an solche Themen herangewagt haben. Abgesehen von dem Portugiesen Texeira de Pas-coaes, dessen Leben von Paulus eigentlich eine entgleiste dichterische Vision war, haben vor allem P a p i n i s „Vita di Cristo“ und M a u r i a c s „Vie de Jesus“ die Welt aufhorchen lassen.

Diesen Beispielen ist der bekannte Romanschriftsteller und Literarkritiker Daniel Rops gefolgt, der sich in den letzten Jahren fast ausschließlich mit Bibelstudien befaßte und als deren Resultat erst eine Geschichte des jüdischen Volkes im Alten Testament („Le Peuple de la Bible“) und nachher ein Leben Jesu („Jesus en son temps“) veröffentlicht hat. Die Bedeutung dieses letzten Werkes kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Auffallende daran ist nicht der Riesenerfolg in Frankreich mit seinen 92 Auflagen in kaum zwei Jahren, denn alles, was Rops schreibt, hat Gehalt und findet rasdi seinen Weg. Auch wundert man sich nicht, daß dieser Schriftsteller sich mit den Evangelien befaßt hat, denn er ist ein fast ebenso anerkannter Literarkritiker, dessen Werke , und Essays über Peguy, Rimbaud, Psichari, Rilke, Kafka usw. so eindringlich und scharfsinnig sind, daß er auch die Fähigkeit besitzen muß, den Wert eines weltbedeutenden Buches — wie es doch die Evangelien sind — darzulegen. Was uns jedoch am meisten wundert, ist die Tatsache, daß Rops, der so beängstigend tief in die Verlorenheit des modernen~Seelenkbens hinabsteigen konnte, wie zum Beispiel in seinen Romanen „L'Epee de feu“ und „Mort oü est ta vic-toire“, die unnahbar reine Gestalt Jesu für seine Studien und Darlegungen auserkoren hat. Und je mehr man sich in dieses Buch vertieft, um so mehr ist man erstaunt über die Wandlung in Rops. Sowohl der frühere Romancier als auch der geistreiche Kritiker haben sich hier fast zur Gänze hinter eine ehrfurchtsvolle und sachliche Betrachtung der Person Jesu zurückgezogen und z/igen sich fast ausschließlich in der fachwissenschaftlichen Ausrüstung der neutestamentlichen Kritikr

Man betrachte diese Feststellung nicht als Herabsetzung oder Tadel. Im Gegenteil: Rops hat vom Standpunkt seiner Begabung den einzig richtigen Weg gewählt. Statt seinen Vorgängern zu folgen und nochmals zu versuchen, die unübertroffene Schönheit und erschütternde Klarheit der Evangelien nachzudichten, hat er seinem großen modernen Leserkreis den Weg gezeigt, wie er die Person Jesu verstehen, ihr nähertreten und die Evangelien am besten erklären kann. Das große Verdienst dieses Buches ist, daß es überkritische Menschen,' die etwas von historischer und Literarkritik verstehen und die gelegentlich einige Zweifel über diese Erzählungen verspüren, die Glaubwürdigkeit dieser Quellen und die Bedeutung der evangelischen Tatsachen klarlegt, ohne mit einem Zuviel an fachwissenschaftlichen Einzelheiten zu belästigen. Wer aber die Fachwerke vor allem von katholischer, Seite kennt, wird feststellen müssen, wieviel — wenn nicht alles — Rops den Forschungen der französischen Bibelwissenschaft zu verdanken hat. Rops, dessen Fähigkeiten als Literarkritiker allgemein anerkannt sind, bestätigt in diesem Geschichtswerk, daß die Schule des Dominikaners Lagrange nicht nur den richtigen Weg gegangen ist, sondern auch der liberalen wissenschaftlichen Kritik weit voraus ist. Ein Mann wie Rops, der die Methoden der literarischen Analyse vollkommen beherrscht, hätte der katholischen Forschung seiner Heimat keine Kritik oder Korrektur erspart, wenn sie seines Erachtens bessere Hilfsmittel anwenden oder andere Wege hätte einschlagen sollen. Statt dessen folgt er diesen Forschungen fast auf dem Fuß in ihren Begründungen, Vorbehalten und Resultaten.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die französische Bibelforschung der letzten Dezennien mindestens auf ebenso bedeutungsvolle Veröffentlichungen zurückblicken kann als die deutsche. Denn wenn auch die deutschsprachigen Publikationen in ihrer Zahl die französischen weit übertreffen, haben doch die letzteren eine Reihe von Namen aufzuweisen, die man in derselben Bedeutung auf deutscher Seite kaum findet. Ohne zum Beispiel den Wert des (leider so unvollständig gebliebenen) Münsterschen Kommentars, der Bonner Bibel und der vielen biblischen Abhandlungen und Studien herabsetzen zu wollen, kann man nicht bestreiten, daß eine Serie wie die „Stüdes bibl iques“ mit ihren mächtigen Kommentaren einzig dasteht, genau so wie die Namen von Lag ränge, de Gran d-, maison, Lebreton, Allo, Huby, Batiffol, Prat, Bonsirven und vielen anderen einen Höhepunkt in der Bibelwissenschaft überhaupt darstell-n. Wer die Werke dieser Gelehrten kennt und damit Jas B*uch von Rops vergleicht, kommt zu der Feststellung, wie fleißig und wie ehrlich er diese Forschungen verwertet hat. Sein ganzes Werk ist im Grunde nichts anderes als. ein unausgesprochenes Lob auf die französische Schule.

Diese Tatsache führe jedoch nicht zur Annahme, als hätte Rops' Werk keine eigene Note. Denn er hat nicht nur die wissenschaftlich* Argumentation seiner großen Vorbilder geschickt zusammengefaßt, sondern er versteht es auch, den oft trockenen Schematismus der bekannten französischen Handbücher oder „manuels“ zu vermeiden und ein fesselndes Lebensbild zu entwerfen, das ausgezeichnet in die von Fayard herausgegebenen Serie: „Les grandes etudes historique“ paßt. Dabei ist es für den französischen Intellektuellen, der noch immer dem Zauber von R e n a n s Beschrei-bungskufcst %nterliegt, von Bedeutung, daß Rops ein für allemal mit Renans Christusfigur abrechnet. Ebenso gerecht und scharf kritisiert. er die Resultate der neuesten liberalen Schule in Frankreich, vor allem von L o i s y, G o-guel, Couchoud, Guignebert, deren Einfluß nicht unbeträchtlich ist. Auch versäumt er nicht, die heiklen Fragen über Chronologie, Kanon und Archäologie zu behandeln und die neuesten -wissenschaftlichen Funde zu verwerten. So bringt er auf Grund der Ausgrabungen die einzig richtige Erklärung für die fünf Säulengänge in Joh. 5, 1 ff. und bestätigt die Echtheit des überlieferten Textes durch die neu entdeckten ehester Beatty Papyri aus dem zweiten Jahrhundert.

Seinen ganz eigenen Charakter zeigt dieses Werk vor allem in jenen Bemerkungen und Abschnitten, die gewöhnlich in den Handbüchern fehlen. So begegnet man — was von Rops zu erwarten war — öfter H i n-weisen auf die Weltliteratur und Vergleichen mit modernen französischen Schriftstellern, wie Peguy, Gide, Claudel und andere. Auch behandelt Rops, der Palästina sehr genau kennt1, die geographischen Einzelheiten mit besonderer Vorliebe, wodurch-' seine Beschreibungen an Lebendigkeit gewinnen. Was aber in allen neutestamentlichen Abhandlungen und Kommentaren fehlt, hat Rops in seinem Werk immer wieder hineingeflochten, nämlich das wiederholte Zurückgreifen auf die bildende Kunst' “aller Zeiten, damit der moderne Leser sich eine Vorstellung machen kann, wie die großen Künstler die Person und das Leben Jesu zum Ausdruck gebracht haben. In diesem'Zusammenhang ist es begreiflich, daß er relativ ausführlich über die äußerliche Erscheinung seines Helden, über seinen Charakter (wobei man den Einfluß von Grandmaison nur bewundern kann) und nicht zuletzt über die merkwürdigen Antlitz- und Körperabdrücke auf dem Turiner Leichentuch berichtet.

Wirkliche Höhepunkte erreicht Rops an1 jenen Stellen, wo er — inmitten seiner wissenschaftlichen Erörterungen und Untersuchungen — vom Geheimnis dieser Persönlichkeit ergriffen, einen Augenblick innehält und sich vergegenwärtigt, wer es eigentlich ist, dessen Leben und Lehre er zu beschreiben versucht. Da wird er sich bewußt, wie mangelhaft alles menschliche Erfassen ist und wie unzulänglich die literarischen Methoden gegenüber dieser Figur geworden sind. Denn „an den Grenzen der Analyse steht das G e h e i m n i s,-das seine Schatten ausbreitet. Hier gibt es keine Forschung und keine Vorte mehr, sondern nur Schweigen und A n-betung.“ (S. 299.)

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