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Das Zeugnis Newmans

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Ich gehöre einer „Gruppe" an, der katholischen Kirche, woraus mir als Schriftsteller schwere Probleme erwachsen könnten; doch bleibt mir das erspart, weil ich unloyal sein kann. Wenn mein Gewissen so zart besaitet wäre wie das Monsieur Mauriacs in seinem Essay „Gott und Mammon“, dann könnte ich keine Zeile schreiben. Es gibt führende Köpfe in der Kirche, für die die Literatur Mittel zu einem Zweck ist: der Erbauung zu dienen. Das mag ein Zweck von höchstem Werte sein, von viel höherem als die Literatur an sich, aber er gehört einer andern Welt an. Literatur hat mit Erbauung nichts zu tun. Damit behaupte ich nicht, daß Literatur amoralisch ist, aber sie weist eine persönliche Moral auf, und die persönliche Moral eines Individuums ist selten identisch mit der Moral seiner Gruppe. Man erinnere sich an die schwarzen und weißen Felder auf dem Schachbrett Bischof Blougrams! Als Romanschriftsteller muß es mir erlaubt sein, sowohl vom Standpunkt der schwarzen wie der weißen Felder zu schreiben: es muß möglich sein, auch Zweifel und sogar Ablehnung äußern zu dürfen — oder wie wären wir sonst freier als die Leningrad-Gruppe?

Katholische Romanschriftsteller (ich nenne sie lieber Romanschriftsteller, die Katholiken sind), sollten Newman zu ihrem Schutzherrn erklären. Keiner verstand ihre Probleme besser und verteidigte sie geschickter gegen Angriffe von Frömmlern (Frömmelei ist ein morbider Seitentrieb der Religion). Ich schreibe die Stelle hier ab, denn sie steht tatsächlich in mehr als einer Beziehung zu unserer Untersuchung. Newman verteidigt den Literaturunterricht an katholischen Universitäten:

„Wenn die Dichtung zum Studium der menschlichen Natur dienen soll, dann verlange man keine christliche Literatur. Es ist ein Widerspruch in sich, über sündige Menschen eine von Sünde freie Literatur zusammenstellen zu wollen. Man kann vielleicht etwas sehr Großes und Herrliches Zusammentragen, etwas Herrlicheres, als es die Dichtung je war; aber wenn man es dann recht besieht, zeigt es sich, daß es überhaupt keine Dichtung ist.“

Und denen, die sich zwar dieser Ansicht anschlossen, aber behaupteten, daß man ohne Dichtung auskäme, antwortete Newman:

„Aechtet die profane Dichtung (nicht etwa nur bestimmte Autoren, bestimmte Werke und. bestimmte Stellen) — ächtet die profane Dichtung ganz allgemein, verbannt aus den Unterrichtsbüchern jede großartige Offenbarung des natürlichen Menschen —, sie warten ja in lebendiger, beseeltet Form schon jenseits der Schwelle eurer Hörsäle auf eure Schüler … Heute ein Schüler, morgen ein Glied der großen Welt; heute einzig auf das Leben der Heiligen angewiesen, morgen einem Babylon überlassen Ihr verweigert ihm die Meister menschlichen Denkens, die ihn in gewissem Sinne belehrt haben würden, da sie gelegentlich korrunt sind …“

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