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Der Feind des gläsernen Menschen

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Von den vielen kurzen Kapiteln, aus denen sich dieses kleine Buch zusammensetzt, können die meisten die Herkunft von der Kanzel nicht verleugnen. Sie wollen es auch nicht. Ihr Verfasser ist Prediger, gehört einem Predigerorden an, und es ist seine besondere Aufgabe, von der Kanzel herab zu vielen zu sprechen. So wendet sich auch sein Buch an viele, eigentlich an alle, denn auch der Feind, um den es geht, ist unser aller Feind: der Teufel. Der Prediger scheut sich nicht, ihn vor die Schranken zu rufen und ihm die Namen zu geben, die ihm gebühren, damit wir ihn erkennen. Aber das fällt nicht leicht: „Meist ging es mir zu spät auf, mit wem ich es zu tun hatte“ — so bekennt der Verfasser selbst. Im. „Faust“ wird er ironisiert (wiewohl er auch da seine Macht oft genug zu erkennen gibt), im Leben haben wir uns gewöhnt, ihn zu verniedlichen. Das paßt ihm, und so herrscht er denn sehr ungehindert über uns, als der „Fürst dieser Welt“. Gegen diesen Fürsten richtet sdch das Buch, das ernst zu nehmen ist. Das aufschlußreichste Kapitel heißt „Thron des Satans“. Sein Wert, und wohl der Wert des ganzen Werkes, liegt darin, daß hier der Satan als wichtige Person, ja überhaupt als Person, in unser Denken wieder eingeführt wird: „Wie vielen Menschen verdirbt er den Geschmack am Leben, indem er ihnen teuflischen Sinn ins Leben bläst — das ist es: wir haben längst in unserm Alltag den Teufel vergessen, so kann er die Essenz unseres Lebens vergiften; wir haben ihn längst aus dem Sinn verloren, so kann er unversehens unser Denken beschleichen: „Wie wollte Luzifer, die Finsternis der Geistschöpfung, nicht Macht genug haben, die Stützen und Säulen des menschlichen Geistes, Wahrheit und Gerechtigkeit, zu fälschen?“ Abej er tut mehr als das. Hat er etwa da Dichterwort vernommen: „Aus leisen Märchen baut sich unsere Welt“? Er war es zufrieden, aus lebendigem Schrecknis zum Mythos zu werden, aus dem Mythos ein Märchen für kleine und große Leute, und so ist er allmählich gar etwas Heitere geworden, der Krampus, vor dem sich keiner mehr fürchtet. Das paßt ihm ganz besonders, denn es macht ihn harmlos und freizügig, so daß er im stillen tun kann, was er will. Dahinein fällt wie ein Keulenschlag das Wort unseres Predigers: „Aber eiin einziges Kreuzzeichen, der Ruf .Jesus!’ oder — beschämend für den Teufel! — ein Tropfen Weihwasser— und der Affe Gottes entflieht und mit ihm alle seine Herrlichkeit.

Hatten wir das nicht gründlich vergessen? Es ist das Verdienst des Verfassers, uns daran neu erinnert zu haben, aber auch ein Verdienst, alles, was er zu sagen hat, auch schwer Erfaßbares, in kurzen, klaren Sätzen vorzubringen. Auf den ersten Bli.ck aus dem Rahmen des Ganzen fallend, aber ungemein aufschlußreich sind die zwei letzten Kapitel: im einen wird an einem besondern, sehr heutigen Beispiel, dem Surrealismus, gezeigt, wo Einbruchstellen liegen; das andere, das Schlußkapitel, füllen Gedankensplitter, die ins Thema fallen und dem, der hier weiterdenken will, Wege weisen.

Man muß wahrhaftig zu diesem kleinen Buch das Engelswort wiederholen: Tolle, lege! Paul Thun-Hohenstein.

Baumeister der Welt. Von Stefan Zweig, S.-Fischer-Verlag, 1951. 593 Seiten.

Eine „Charakterkunde des Genies in Variationen“ hat ein Freund des Schriftstellers jene berühmtgewordenen neun Essays genannt, die früher in drei Zyklen gegliedert waren und nun im Rahmen der Gesamtausgabe von Stefan Zweig in einem Band gesammelt vorgelegt werden. Balzac, Dickens und Dostojewski („Drei Meister“), Hölderlin. Kleist und Nietzsche („Der Kampf mit dem Dämon“), Casanova, Stendhal und Tolstoj („Die Bücher ihres Lebens“) — ihnen gelten die eindringenden psychologisch-literarischen Studien, in denen Stefan Zweig — den Hermann Hesse als einen „klugen und feinfühligen Einfühler bezeichnete — seinem Gegenstand freilich manchmal bedenklich nah aut den Leib rückt und es im Eifer des Analysierens, berauscht von der Freude an pointierter Formulierung und vom eigenen Wortfeuerwerk geblendet, manchmal an jener Distanz fehlen läßt, die man für ein gültiges Porträt nun einmal braucht. Distanz oder Einfühlung — das ist hier die Frage. Letztere geht sö weit, daß Zweig über Kleist auf Kleistisch und über Hölderlin in gehobenem Hölderlin- Deutsch spricht. Was wir uns über Casanova anhören müssen, liegt freilich schon jenseits der Grenze des guten Geschmacks, und wir plädieren in diesem Fall für das gröbere, aber naivere Original. Die meisten dieser Studien liest man nicht ohne Gewinn, vor allem jene, deren Objekt man genauer kennt. Anregung, Zustimmung und Widerspruch melden eich bei der Lektüre fast jeder Seite; ebensooft wird man von geistvollen Formulierungen überrascht und durch sprachliche Unmanieren oder Flüchtigkeiten verärgert. (Man lese daraufhin einmal aufmerksam die ersten Seiten des Hölderlin-Essays). In der Balzac-Studie erkennt man den soliden und scharfgezogenen Grundriß von Zweigs Opus magnum, neben dem die vorliegenden Studien ein wenig verblassen. Den Titel „Meisteressays’ wird trotzdem niemand diesen neun Kurzmonographien streitig machen.

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