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Der neue Eliot

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Er ist „der menschlichste“ genannt worden. Lliots neues Stück „The Eider Statesman“ war das dramatische Ereignis der diesjährigen Edinburgher Festspiele, das dritte dort urauf-geführte Werk des Dichters. Es wurde von Kritik und Publikum verhältnismäßig freundlich aufgenommen — im Verhältnis nämlich zu seinen Vorgängern, der „Cocktail Party“ und dem „Con-fidential Clerk“; und man sieht jetzt an der Erleichterung über die „menschlichere“ Qualität des neuen Werkes, was den Leuten an den früheren nicht recht behagte: die strenge christliche Botschaft, die ausgesprochene Einfügung des gesellschaftlichen Vorgangs in eine göttliche Ordnung. Die Heldin der „Cocktail Party“ ging ins Missionsfeld und wurde gekreuzigt — was nicht recht in den Rahmen des Gesellschaftsstückes paßte; der lunge Mann im nächsten Stück war schon gemäßigter und wurde Kirchenorganist; in diesem trägt die junge Heldin nur noch ein stummes Goldkettchen mit Kreuz am Schwanenhals und „erlöst“ ihren Vater mit rein menschlicher Liebe und verständnisvollem Anhören seiner Lebensbeichte. Er geht und stirbt in Frieden. Keiner sagt etwas unzweideutig Christliches mehr, alles ist als vernünftige Psychologie oder Ethos des gesellschaftlichen Anstands deutbar.

Dabei ist eigentlich nichts zu „deuten“. Bei diesem Stück ist jeder Kommentar überflüssig, da es sich ständig selbst kommentiert. Es handelt vom Sterben des hohlen Mannes. Lord Ciaverton, angesehener Politiker und Wirtschaftsmann im Ruhestand, findet keine Ruhe, da er von alter Schuld geplagt ist. Sie tritt ihm in Gestalt zweier Menschen entgegen, an denen er vor Jahrzehnten menschlich versagt hat: ein ehemaliger Mitstudent, den er auf eine schiefe, aber lukrative Bahn gebracht hat, und eine Frau, die er als Mädchen vei führte und mit Geld abfertigte. Sie haben es beide zu etwas gebracht: der eine durch Korruption in Südamerika, das Mädchen durch Chansons und günstigen Ehe-

Schluß. Sie treten eumenidengleich vor Ciaverton und heischen Anerkennung. Und sie führen seinen Sohn auf die gleiche schiefe Bahn.

Die Beichte vor der Tochter bringt Erleichterung, ihre Liebe Erleuchtung. Wir lernen die Lektion und gehen geläutert nach Hause? Nein, wir kannten die Lektion schon lange und stellen traurig fest, daß sie uns hier mit dem gleichen Vokabular verlesen wurde, deren sich die leider allzu landläufigen populären Prediger und Psychologen bedienen. Das Stück hat noch heitere Momente, Situationskomik — besonders bei den lästig-lustigen Eumeniden —, auch sprachlich frappiert und erfreut es noch mitunter — die Kenner lachen, wenn „echter Eliot“ kommt —, aber wo ist der Dichter geblieben? Die Personen des Stücks — Abstraktionen — reden eine abstrakte Sprache, graue Theorie über „Flucht vor der Wirklichkeit“, „Flucht in die Wirklichkeit“, „dieses Selbst in uns“ und so weiter und so fort. Ist das die Sprache, die heute als menschlich gilt? Uns ist keine Beschwerde darüber zu Ohren gekommen. Aber wir hoffen fürs nächstemal wieder auf den Dichter Eliot.

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