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Gesellschaftsdrama

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.Die Cocktail Party“, eine Komödie von T. S. Eliot (prachtvoll übersetzt von Nora Wydenbruck), hat England be-4türzt, verwirrt, in manchen Bezügen vielleicht mehr abgestoßen als angezogen; sie hat in einem Jahr Amerika erobert und in so kühlen und, theatermäßig betrachtet, schwierigen Zonen wie in Schweden Bewunderung erweckt. Nun haben die Wiener im Akademietheater ihre Premiere hinter sich: Die erste Bekanntschaft mit diesem großartigen Werk, das durchaus doppelbödig, Satire, Komödie und Tragödie verdichtet zu einem nahtlosen Stück.

Die Cocktail Party i6t in Versen gefaßt, in einer ganz bestimmten Art prosaischer Verse, die nahezu in Prosa vergleiten; auf dieses Nahezu aber kommt es an. Diese Verse sind nämlich jenes ganz einzigartige Instrument des Dichters Eliot (und wie weiß er es zu handhaben!), das ihm erlaubt, das Banalste und Gewöhnlichste transparent, hintergründig werden zu lassen, Ironie und leichtes Lächeln als Gefäß des Tragischen zu behandeln. Man spreche einmal zunächst in Prosa, dann in Versen die Worte Julias:

Das brauchst du mir nicht zu erzählen, daß Affen destruktiv sind,

Ich werde Mary Mallingtons Affen nie vergessen.

Das schreckliche kleine Biest — stahl mein Billett nach Mentone,

Und ich mußte mit einem richtigen Bummelzug fahren.

Und ohne Couchette, Sie war ganz außer sich,

AI ich ihr sagte, die Kreatur gehörte umgebracht.“

Im Konversationston erzählt, ergibt das eine bestenfalls extravagante, halb dumme, halb snobistische Story. Gefaßt in die Gefäße .des Verses, mit den ihm zukommenden 'Hebungen, Senkungen und Cäsuren, beginnt der Höret Schreckliches zu ahnen: eben jene Geschichte vom Märtyrertod der Celia Cople-etone. Da in der Wiener Aufführung die Verse verschilften wurden, hatten manche Zuschauer folgenden Eindruck von der Cocktail Party: eine im Grunde widerwärtige Geschichte von den psychoanalytischen Schwierigkeiten eines 6ehr wohlsituierten Londoner Ehepaares, Schwierigkeiten, in die sich ohne ersichtlichen Grund einige verrückte oder zumindest seltsame Personen einmischen: Missis Shuttlethwaite und Celia, Mister Gibbs und Peter Quilpe, zuoberst ein Nervenarzt, der, eine Mischung aus Gott und Teufel, Freud, Adler und C. G. Jung, die Heilung der zerbrochenen Ehe übernimmt, wobei ihm die eben erwähnten Personen als Schutzengel assistieren. Dieser Mann ist übrigens in seinen Mitteln nicht verlegen,-.das nach der Rettung der Ehe überflüssig gewordene Mädchen Celia wird von ihm geradewegs in derf Tod geschickt, ins Martyrium zu den Wilden nach Afrika.

Eliots Cocktail Party ist aber, was unser Publikum vielleicht schockieren mag, die Weiterführung der Shawschen Gesellschaftskomödie und Satire ins Metaphysische hinein. Sie bleibt vom ersten bis zum letzen Vers Lust-Spiel, echte Komödie — und ist zugleich christliches Drama, ganz eingesogen in die Form des modernen Gesellschaftsstücks. Es geht also durchaus um Sünde, Schuld, Erlösung: von Menschen, die vor Gott und der Welt, vor ihrem Ich und Du Verantwortung tragen. Die Hölle sind nicht die andern, wie Sartre sagt, die Hölle ist auch nicht das Ich, wie Edward Chamberlaine in der Party meint, also die mit sich und der Welt zerfallene Person, die zum Insekt wird (Eliot verwendet das Käfer-Symbol wie Kafka) — die Hölle kann sich aber überall realisieren i n den Beziehungen, im Spannungsfeld der menschlichen Gesellschaft, wenn deren Mitglieder auf ihre Gliedschaft vergessen, sich ihrer Verantwortung mit- und für einander entschlagen. Das ist der erste Satz Eliots, und der zweite hängt am ersten: aus dieser Hölle gibt es Erlösung, kann jederzeit .Himmel“ werden: das Reich Gottes liegt in euch, wenn die Menschen sich umsinnen — diese simplen, harten Wahrheiten, die niemand gern hört, am wenigsten ein gepflegtes Großstadtpublikum, kleidet nun Eliot in das Redegeplätscher einer Cocktail Party, wobei er sich minutiös an die Maxime hält, das Banale zum Ansatzpunkt des Transzendierenden zu machen.

Warum aber nun diese Einkleidung? Kann Eliot es nicht billiger geben? Was sollen die Snobbs, was sollen die Schutzengel, die diese Gesellschaftsmenschen zu einem erfüllten Leben führen? Großartiges Gleichnis, großartiges Zusammenspiel: die Wächter“, die Schutzengelfiguren, bedienen sich der Spielregeln dieser sehr menschlichen Gesellschaft, um dieser das rechte, echte Spiel zu lehren: in Gabe und Gegengabe. Homo ludens — der spielende Mensch, heißt des großen Humanisten Huizinga Werk. Societas luden6: der Mensch wird zum Menschein durch sein Mitspielen in der Gesellschaft. — Das will die Party uns lehren.

Aus dem Gesagten ergibt sich bereits ein Einblick in die ungemeinen Schwierigkeiten einer Wiener Aufführung. Hoher Intellekt und feinste seelische Vibration ist nicht jedermanns Sache, und gerade den männlichen Schauspielern fehlt sie bei uns bekanntlich sehr. Die innere Problematik und Mehrschich-tigkeit des Stücks wird also noch belastet durch die Schwierigkeiten einiger Schauspieler, die mit der ungewohnten Art dieses Dramas innerlich nicht fertig werden. Trotzdem muß gesagt werden: Die unter der Regie Berthold Viertels stehende Aufführung wird in die Geschichte des Wiener Theaters eingehen, genau so wie das Stück selbst, das aus der Geschichte des modernen Dramas bereits heute nicht mehr wegzudenken ist.

Aufführung des .Eingebildeten Kranken“ im Neuen Theater in der S c a 1 a ist, nimmt man alles in allem, mißglückt. Die Schauspieler tragen keine Schuld daran — sie sind von der Regie im Stich gelassen worden: und so spielt jeder Akteur, wie er's für richtig hält und alle sprechen aneinder vorbei. Nicht minder schwer wiegt, daß die Inszenierung dem strengen Barockstil Molieres — warum nur? — überflüssige Rokokoschnörkel ansetzte und wahrscheinlich im SiAne Reinhardts zu handeln glaubte, als sie den Traum des Hypochonders zu einem expressionistischen Larventänzchen machte. Kein Teil fügt sich zum anderen, zurück bleibt' ein Durcheinander von Bruchstücken verschiedenster Stil- und Spielarten. Das Stück? Es ist großartig genug, um seine Inszenierung zu überstehen.

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