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Die gelehrten Frauen

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Vergeßlichkeit kann auch eine Gnade sein, wenngleich manchmal unangenehm und blamabel. Wer mit einer Frau an seiner Seite bedacht ist, hat es leichter. Schon ein flehentlicher Seitenblick erspart die Frage „Wer ist denn der?” - und schon flüstert das menschgewordene Langzeitgedächtnis den gesuchten Namen ins Ohr. Worauf jener anerkennende Gesichtsausdruck bei der Begrüßung des erkannten Namenlosen folgt, der es zu schätzen weiß, nach zwanzig Jahren sogleich mit Titel und richtigem Namen angesprochen zu werden.

Solchen gesellschaftlichen Augenblicken des Gedächtnis-Triumphes steht leider auch die ewige Präsenz aller Ereignisse gegenüber, die sonst der gnädige Schleier des Vergessens deckt. Die Wissenschaft, diesmal die ehrwürdige von Cambridge, hat die überlegene Erinnerungsfähigkeit des weiblichen Geschlechts ausgetestet und erwiesen. 4.000 junge Männer und Frauen wurden mit Texten konfrontiert, in denen bestimmte Bezeichnungen vorkamen. Zehn Jahre später erinnerten sich die Frauen mehrheitlich an diese Bezeichnungen, die Männer jedoch kaum. Das anatomisch größere Männerhirn hat anscheinend für solche Details keine großen Speicherkapazitäten. Oder ist da etwa eine gewisse Vorprogrammierung der Frauen beteiligt? Die Bezeichnungen im Test waren nämlich Nahrungsmittel. Während hier die Beziehung der Männer häufig in Richtung gedankenloser Verzehr läuft, assoziieren Frauen das mit Einkauf und Küche. Woraus der zumindest für die Britinnen höchst unwissenschaftliche Schluß zulässig ist, daß es mit dem hierzulande propagierten Halbe-Halbe noch nicht so weit her ist. Tony Blair und sein Ministerium haben da noch einige Hausaufgaben. Unabhängig davon das streng wissenschaftliche Fazit der Gelehrten (vermutlich der Gelehrtinnen) von Cambridge: Männliches Gedächtnis baut ab 20 Lebensjahren ab, weibliches erst ab 55. Wenn das voreilig auf die hiesige Sozialpolitik zu übertragen wäre, stimmte ja das Pensionsalter der Frauen. Aber was machen wir mit den Männern über 20? Gut, daß wir wenigstens Computer haben!

Unsere Sozialpolitiker werden nicht müde, auf die Benachteiligung der Frauen bei Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten hinzuweisen. Ihre Empörung erhielt neuerdings einen Dämpfer durch eine IFES-Studie, an der 900 Probandinnen beteiligt waren. Das bessere weibliche Gedächtnis, an dem hierzulande so wenig wie in England zu zweifeln ist, bewirkt nämlich auch einen seltsamen inneren Harmonie-Ausgleich. Mit ihrem Betrieb und ihrer - oft untergeordneten - Tätigkeit sind nämlich die berufstätigen Österreicherinnen wesentlich zufriedener als ihre männlichen Kollegen. Nur die österreichische Gesellschaft, die das alles zuläßt, mit der sind die Frauen weniger zufrieden. Also doch: weibliches Gedächtnis, diesmal recht kritisch. Die

Erwartungen bleiben unerfüllt, aber man (beziehungsweise frau laut amtlicher Sprachneutralisation) findet sich ab und entwickelt kein revolutionäres Potential. Das Volksbegehren kann getrost im männlichen Ver-gessensbereich deponiert werden.

Ein Mann von Welt und Österreich, der auf sich und die Frauen hält, verliert ja auch nicht sein gehirn-schweres Ansehen, wenn er ganz offen zu seinem Gedächtnis steht und mit einem leichten Seufzer der Überlastung sagt: „Fragen Sie meine Sekretärin!”, oder „Fragen Sie meine Frau!”.

Die weiß es bestimmt. Und vermutlich aus dem Selbstbewußtsein, welches ein gutes Gedächtnis verleiht, stammt diese Zufriedenheit und Ergebenheit in das Schicksal des geneigten Hauptes, ganz so wie auf den schönen Tafelbildern des Mittelalters. Es steckt darin freilich auch eine Überlegenheit, die wir Männer nie begreifen und bestenfalls erst heute wissenschaftlich ahnen können.

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