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Insel der Stille

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HOHENLOHE. Von Paul Swiridoff. Verlag E. Schwend, Schwäbisch-Hall. 136 Seiten, davon 76 ganzseitige Bildtafeln. Preis 19.80 DM.

Seit 1945 geht in zunehmendem Maße ein Wandel in der deutschen Geschichtschreibung vor sich: befreit vom Zwang „patriotisch“ zu schreiben, gedrängt von der echt wissenschaftlichen Forderung, zu sehen, „wie es wirklich war“, entdeckt sie, die deutsche Geschichtswissenschaft, plötzlich neue Züge in der Vergangenheit ihres Volkes. Nur so ist es zu verstehen, daß jetzt die großen Untersuchungen über den deutschen Liberalismus das Licht der Welt erblicken, daß Bismarck zum ersten Maie die Würdigung erhält, die er verdient, daß langsam, aber sicher die Erkenntnis aufdämmert, daß der große Verlierer bei Königgrätz eigentlich das deutsche Volk gewesen ist.

In die Reihe dieser Werke ist auch das große und prachtvoll ausgestattete Buch von Paul Swiridoff „Hohenlohe“ zu rechnen. Auf den ersten Blick mag dies verwunderlich erscheinen. Denn da repräsentiert sich dieses Buch als ein sehr schöner Bildband über jenen wenig bekannten Winkel Deutschlands, der von Tauber, Jagst und Kocher durchzogen, zwischen Nürnberg und Würzburg, zwischen Frankfurt und Stuttgart liegt und einst zum größten Teil dem Geschlecht der Hohenlohe als reichsunmittelbares Fürstentum gehörte.

Aber beim Betrachten aller dieser einmaligen Bilder, die nicht nur die Naturschönheiten zeigen, sondern vor allem auch die prachtvollen Schlösser, Städte, Burgen, Kirchen und Klöster dieser Gegend, kommt der Leser langsam und zunächst unbewußt zu der Ueberzeugung, welches Unglück es für Deutschland war, daß im Zuge der Napoleonischen Kriege alle diese kleinen Fürstentümer, diese Reichsabteien, diese Reichsstädte verschwanden. Denn das Volk lebte dort doch unter sehr patriarchalischen Herrschaftsformen, die nicht ohne Vorteile waren. Was diese kleinen

Herrscher außerdem alles für die Kultur ihrer Territorien taten, dies zeigt das Werk von Swiridoff nur allzu deutlich. Niemals mehr hat es in Deutschland soviel Kultur gegeben wie zu jener Zeit, da das Volk unter Hunderten von Herrschern lebte.

Mit Recht bezeichnet Swiridoff diesen Winkel Deutschlands eine „Enklave der guten alten Zeit", eine „Insel der Stille, in dem noch zu finden ist, was es fast nirgends mehr gibt: den natürlichen Rhythmus des Lebens". Vielleicht wäre Deutschland heute nicht dieses von einem hektischen Wirtschaftswunder durchschüttelte Land, sondern eine große Insel der Stille, wenn zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht einige deutsche Fürsten mit Hilfe Napoleons und aus purem Egoismus in einem schamlosen Raubzug diese kleinen Herrschaftsgebiete Deutschlands „gleichgeschaltet" hätten. Der Schaden Deutschlands und der freien Welt wäre dies sicher nicht sen.

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