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Rilkes Briefwechsel mit Benvenuta

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Rilke schrieb seine Briefe an Magda von Hattingberg, die er Benvenuta nannte, in der Zeit vom 26. Jänner bis 25. Februar 1914 aus Paris. Magda von Hattingberg, die er nicht kannte, hatte die „Geschichten vom lieben Gott“ gelesen und ihm dann geschrieben. Rilke, der sich gerade in einer seiner unproduktiven „Zwischenzeiten“, die ihm soviel Zweifel und Verzweiflung brachten, befand, antwortete ausführlich, und es spann sich jener seltsam bestürzende Briefwechsel, der nun zum ersten Male, was die Briefe Rilkes betrifft, vollständig publiziert wird. (Es wurden nur an vier Stellen insgesamt drei Briefseiten Rilkes, die sich auf noch lebende Personen beziehen, auf Wunsch der Herausgeberin weggelassen.)

An diesen Briefwechsel schloß sich die erste persönliche Begegnung am Abend des 26. Februar 1914 in Berlin an und das Benvenuta-Erlebnis, das Rilke in vieler Hinsicht formte und das, wie er später einer anderen Brieffreundin, Lou Andreas Salome, bekannte, „so völlig zu meinem Elend ausfiel“. Nach dem Tode Rilkes erhielt Benvenuta von unbekannter Hand ihre Briefe an Rilke zurück, zusammen mit Rilkes „der-niere lettre ä B.“. In diesem Brief finden sich folgende Zeilen: „ . . . wenn einmal die Stunde kommen sollte, die Du meinst (und dann ist es gewiß, daß ich nicht anders könnte, als sie grenzenlos bejahen), dann gib Zeugnis, denn Du bist berufen auszusagen, hast Du doch das Vermächtnis meines Lebens in Deinen gesegneten Händen.“

Dieser Vollmacht des Dichters entnahm Magda von Hattingberg die Verpflichtung, zu gegebener Zeit, von ihrer Begegnung mit Rilke zu berichten. Sie tat dies zuerst in ihrem Buch „Rilke und Benvenuta. Ein Buch des Dankes“, das 1943 in Wien erschien. Eine Auswahl aus Rilkes Briefen erschien in Gmunden 1949 in einem 78 Seiten starken Bändchen, das den kitschigen Titel „So laß ich mich zu Träumen gehen. Dokumente einer Liebe“ trug. 'Die Zeit, da es für jede Dame der Gesellschaft Ehrensache war, ihre Erinnerungen an Rilke bekanntzugeben, zu erzählen, wie er ihr die Hand gedrückt und sie angesehen und was er ihr ins Stammbuch geschrieben habe, war gekommen, und hatte auch auf die Art dieser Publikation abgefärbt. Es war daher wirklich, wie Kurt Leonhard in seinem einfühlenden und sehr taktvollen Vorwort sagt, „eine dringende Notwendigkeit, den vollständigen und reinen Wortlaut zugänglich zu machen“. Die hier wiedergegebenen Briefe wurden nach den Originalmanuskripten sorgfältig überprüft 'und in der ziemlich manierierten Rechtschreibung und Zeichensetzung Rilkes („feindsälig“, „italiänisch“, „sprüchwörtlich“, ständig „th“ statt „t“ — 1914! —, „y“ statt „i“) wiedergegeben

Was diese Briefe vor den anderen, die Rilke zu verschiedenen Zeiten seines Lebens an Frauen schrieb, auszeichnet, ist, daß sie wirklich das sind, was er später einmal von ihnen sagte: sein eigentliches autobiographisches Werk, oder, überschwenglicher an Benvenuta selbst: „das Vermächtnis meines ganzen bisherigen und künftigen Daseins“. Hier versucht er ehrlich zu erkennen, was er ist, und sich Rechenschaft über sein Leben und Tun zu geben; das war für ihn, dem zu allen Gelegenheiten eine Ueberfülle eleganter, scheintiefer Wendungen und Gedankengange zur Verfügunc- standen, der wie kaum ein anderer — Heideggei vielleicht ausgenommen - tiefsinnig schmusen konnte, so daß aller Schmus ein

Korn Wahrheit und alle Substanz einen Kern Schmus enthielt, v/ahrhaft nicht leicht. Aber indem er hier versuchte, sich selbst zu erkennen, fand er in seinem eigenen Gewissen eine Instanz, vor der nur lautere Wahrheit bestehen konnte. An Lou Andreas-Salome schrieb er später über diesen Briefwechsel: „... so daß ich nun zum ersten Mal Eigentümer meines Lebens zu werden schien, nicht durch auslegende Aneignung, Ausbeutung und Verstehung von Gewesenem, sondern eben durch jene neue Wahrhaftigkeit selbst, die auch meine Erinnerungen überflutete.“

Wir erleben in#diesen Briefen den Beginn einer Selbstüberwindung, der dann zu den harten klaren Gedichten der letzten Jahre führte, einen erschütternden Vorgang, der uns das Beispiel eines Menschen zeigt, der an sich selbst leidet — und nicht, wie die meisten Dichter seiner Generation, an der Zeit —, und der die eigene Kleinheit und Frühreife überwindet, um sein Leben auf die einzig mögliche Grundlage zu stellen: auf die Wahrheit vor sich selbst. In einem Briefe schildert Rilke das Erlebnis, das er hatte, als er in der „Neuen Rundschau“ (1911) unter Sprüchen von Rudolf Kassner diesen las: „Wer von der Innigkeit zur Größe will, der muß sich opfern.“ Wie ein Dolch gingen diese Worte Rilke durch und durch, bekennt er. Rilke ist diesen Weg gegangen. Und an anderer Stelle schreibt er an Benvenuta: „... mir ist, als wär's mein Werk, mein endgültiges, mich Dir wahr zu machen, wahr, hörst Du, nicht liebens-wert, — härtlings (?) wahr, — als könnt ich zum ersten Mal in Deinem Herzen mich Gott deutlich machen, daß er mich kenne...“

Und sie antwortet: „Rainer, vielleicht brauchen wir diese unwirtlichen Briefblätter nicht mehr, vielleicht wird ein großer liebevoller Augenblick des Schweigens mehr sein als alle Worte.“ Aber diese Kraft zur Größe des Schweigens, und das heißt weiter: zu einem einfachen, den Sakramenten verbundenen Leben, zu Kommunion und Kommunikation, war Rilke nicht gegeben; er hat, und an diesen Briefen spürt man das deutlicher als je, immer nur sich selbst gesehen, nie den anderen. Darum mußte jed seiner Liebeserfahrungen „tragisch“ enden; darum konnte er der einfachen Wirklichkeit nicht standhalten, außer in seinem Werk.

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