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BEGEGNUNG MIT VALERIE

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Als Kind lebte ich auf einer Insel. Inmitten der deutschsprachigen Minderheit Prags, uimbrandet von der tschechischen Stadt. Mit sieben Jahren war ich „redaktionsfähig“ und wurde oft von meinem Vater zu einem Plausch ins Prager Tagblatt mitgenommen. Um die Angelegenheit zu vereinfachen, wurden mir die Herren, die dort ein- und ausgingen, als Dichter präsentiert So hatte ich als kleines Mädchen den Eindruck, daß alle erwachsenen Männer Dichter oder Lehrer seien. Übrigens schrieben wirklich die meisten von ihnen Bücher — der blinde Oskar Baum, der kleine

Dr. Max Brod mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, der Frauenarzt Dr. Hugo Salus mit langer Künstlermähne, der bewegliche schwarzlockige E. E. Kisch und der schmale gehbehinderte Paul Leppin.

Paul Leppin wohnte in unserer engsten Nachbarschaft in der Schlesisohen Gasse auf dem Weinberg. Und so wurde er Zeuge eines Kinderspiels, von dem meine Eltern keine Ahnung hatten.

An der Ecke der Gasse war ein Greißlerladen. Vor seiner Türe erwarteten wir täglich das „Fräulein Baronin“ — ein Spiel dessen wir nie müde wurden. Täglich um die gleiche Stunde erschien das Geschöpf aus einer anderen Welt. Zierlich, mit wippendem Hut oder Samtbarett, Wespentaille, langem Rock und Lackstiefeletten schwebte sie heran. Das Gesicht glich einer Maske, dicke Puderschicht und Rosenwangen, tizianrote Locken weitausladend frisiert wie auf Großmutters Jugendbildern. Das Fräulein holte täglich Milch für ihre Katzen. Sicher war sie etwas sehr Vornehmes — es erschien ihr ganz selbstverständlich, daß wir Rangen Spalier standen, wenn sie aus dem Laden kam. Sie nahm die „Huldigung“ würdig entgegen und schritt mit ihrer Milchflasche heimwärts. Kaum war sie um die Ecke, brüllten wir los vor Lachen.

Dabei erwischte mich Paul Leppin, der Dichter der „Bunten Lampe“. — „Das darfst du nie wieder tun“, sagte er mit ungewohntem Ernst, „hörst du — nie wieder! Diese Dame trägt unmoderne Kleider, weil sie in der Vergangenheit lebt... Das verstehst du noch nicht, aber auslachen wirst du sie nie mehr! Versprich mir das!“ Das beeindruckte mich, und ich fragte nach ihrem Namen. „Valerie David von Rhonfeld“, erwiderte Paul Leppin, der eben einen Artikel für das Prager Tagblatt geschrieben hatte — über den Besuch bei Rene M. Rilkes erster Verlobten ...

Einige Jahre später ermöglichte Paul Leppin auch mir dieses Erlebnis. Valerie David wohnte in der Schlesischen Gasse in einer kleinen Wohnung im Hochparterre eines Mietshauses. Das Vorzimmer war schmal und dunkel, aber als das Fräulein die Türe in den Wohnraum öffnete, verschlug es mir fast den Atem. Der erste Eindruck von Licht, Blumen und Märchenschloß wurde abgelöst von der Begierde, jeden Gegenstand dieses Traumzimmers einzeln zu besichtigen. Ich erinnere mich bis heute an den antiken farbigen Glasluster, den kunstvoll eingelegten Speisetisch, den Empirefauteuil mit Intarsien und Brokatbezug, den Kapellensekretär, die Vitrine mit Delf ter, Kopenhagener und Meissner Porzellan, an den venezianischen Spdegel mit der Brautkrone und an die beiden kleinen Truhen aus edlem Holz. In diesen Truhen bewahrte die alte Dame Erinnerungen an die Zeit auf, als der blutjunge Rene die schöne Valerie liebte. Die umfangreiche Korrespondenz — über 130 Briefe — hatte sie an Curt Hirschfeld verkauft. Rainer Maria Rilke lag auf dem Friedhof von Raron und der Wert seiner Autographen war gestiegen. Aber sicher gab es in den Truhen noch Dinge, von denen sich Valerie nicht trennen mochte. Bevor ich sie besichtigen durfte, erzählte mir das „Fräulein Baronin“ ausführlich von ihrer Familie.

Franz David, der Großvater väterlicherseits, hatte sein Adelsdiplom von Ferdinand dem Gütigen erhalten, der Onkel väterlicherseits war Statthalter von Dalmatien gewesen, Großpapa mütterlicherseits war der Vater des großen tsche-\ chischen Dichters Julius Zeyer, und von einem Aquarell iblickte mir Großmama Eleonore Zeyer entgegen, deren Wiege Vioch im Prager Ghetto gestanden hatte. Es waren die wert-Vollen alten Spitzen dieser Dame gewesen, die die Herausgabe von Rilkes erstem Gedichtband „Leben und Lieder“ im Jung-Deutschland-Verlag ermöglicht hatten. Aber dies erzählte Fräulein von Rhonfeld erst, als sie das Bändchen aus der Truhe geholt hatte — zugleich mit der Erstausgabe der „Larenopfer“, deren Einband von Vally David entworfen war. Erinnerungen an kindliche Spiele ganz junger Mensohen — ein gesiegelter Taufbrief der Puppenkinder, gezeichnet von Vater Rene und Mutter Vally, Tagebuchblätter und der einfache Mädchenfächer aus weißem Papier mit gemalten Katzengesichtern. Auf seiner Rückseite steht mit Bleistift ein Vers:

Wenn dich die Sonne blendet, ich mache wohl und kühl, du weißt die Sonne sendet der Strahlen oft zuviel.

Ich halte stets dir Frühling und bin in deiner Näh', und sieh — dir zu naht Kühlung.

Gedanken von RENE

Gegenüber, auch mit Bleistift geschrieben, steht: VALLY. Auf den Rippen des Fächers sind zwei Figürchen hingekritzelt — ein Kadett und ein Mädchen mit Wespentaille...

Allerdings entsprach die alte Dame nicht ganz den Vorstellungen, die man sich von der ersten Liebe eines Rainer Maria Rilke macht. Ihre Aufzeichnungen über Rene sind nicht gerade geschmackvoll. Sie weist auf sein unglückliches Äußeres hin, betont die Fehlschläge seines Lebens, unterstreicht ihren eigenen Edelmut, ihre gesellschaftliche Stellung. Die Aufzeichnungen, die sie Curt Hirschfeld zugleich mit der Korrespondenz übergab, sind ja bekannt. Aber wenn man bedenkt, wie hart das Leben eines „sitzengebliebenen Mädchens aus guter Familie“ gewesen sein mußte, mag man vieles verstehen.

Im Traumzimmer aus dem 18. Jahrhundert traf ich ein verarmtes, einsames, altes Fräulein an, mit Erinnerungen an den Verlobten, der sie verlassen hatte und ihren drei Katzen. Ich glaube sie hießen Jou-Jou und Vally und der Kater Herr Scholz. Von diesen Geschöpfen sprach sie mit mehr Liebe als von Rene Rilke.

Diese Begegnung war nicht unsere letzte. Noch einmal sah ich Valerie David wieder. An einen Spiegel gelehnt stand sie da, eine Blume am Ausschnitt, zart und schön. Dunkle melancholische Augen, Frisur und Schmuck der Jahrhundertwende. So blickte sie auf dem Pastell von Simon den Menschen entgegen, die die Rilkeausstellung in Vrchotovy Jano-vice besuchten, einem Schloß, in dem der junge Rilke häufig Gast der Geschwister Nädherny gewesen war. Der Sekretär, der Tisch, der Empirefauteuil und die Truhen, in denen einst Rilkes Briefe lagen, sind zu Ausstellungsstücken geworden. Auch die erste Ausgabe von „Leben und Lieder“ und der „Larenopfer“; in einer Glasvitrine liegt der weiße Fächer.

Valery David von Rhonfeld wurde so wie Goethes Ulrike sehr alt Sie starb im Jahre 1947 und ihr Nachlaß kam in das Prager Nationalmuseuim. Paul Leppin, dem ich ihre Bekanntschaft verdanke, starb 1945. Aber in Wirklichkeit war er als Mensch und Dichter schon viel früher gestorben — als die Reichskulturkammer den schwerkranken Mann gezwungen hatte, den Verkehr mit seinen gefährdeten jüdischen und tschechischen Freunden abzubrechen, sich loszusagen von alldem, was aus Prag die Wiege der letzten Blütezeit einer deutschen Literatur gemacht hatte — wie sie nur auf einer Insel, inmitten eines anderen Volkes gedeihen konnte.

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