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Uns bricht das Herz...

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Nicht im wohlvorbereiteten Streitgespräch, nicht im theatralischen Donnerwort: in der unbeabsichtigten, oft unbewußten Äußerung entlarvt sich der Mensch, stellt sich der wahre Geist einer Gesellschaft dar.

Di Geschichte von der Königin Maria Antoinette, die angesichts einer Demonstration hungernder Untertanen, die nach Brot schrien, ohne jede böse oder zynische Absicht, einfach aus dem Denken ihres Horizonts heraus, sagte: „Wenn sie kein Brot haben, warum essen sie dann keinen Kuchen?“, mag nur eine Anekdote sein. Daß sie weitererzählt, daß sie für durchaus glaubhaft gehalten wurde, ist Indiz genug für die wenig später zur Katastrophe führende Todeskrankheit einer nicht mehr zu rettenden Gesellschaft.

Auch die österreichische Wohlstandsgesellschaft, von einem Publizisten zutreffend „Neidgenossenschaft“ genannt, entlarvte sich in den letzten Tagen in einer der guten Maria Antoinette nicht unähnlichen Weise. Die zwischen den Regierungsparteien nach einigem mehr oder weniger formalen Geplänkel beschlossene und damit praktisch Gesetz gewordene Änderung in der Haushaltbesteuerung sieht bekanntlich vor, daß in Zukunft (beileibe nicht etwa rückwirkend in die weiter gelegene Vergangenheit) doppelverdienende Ehepaare der Haushaltbesteuerung unterliegen. Darunter versteht man die Zusammenrechnung der Einkommen von Ehegatten vor Anwendung der allerdings in der Progression recht harten Einkommensteuertabelle. Nun tritt diese steuerliche Mehrbelastung aber erst bei Einkommen in Kraft, die zusammen 150.000 S im Jahr übersteigen. Hätte man dies, so wie es hier steht, kommentarlos bekanntgegeben, so hätten gewiß die Fiskalspezialisten über den Erfolg, die Verfassungsjuristen über die Paragraphendeutung sehr anregende und langwierige Debatten führen können, an denen wir uns aber weder jetzt noch in Zukunft beteiligen möchten, weil uns- dazu die Fachkenntnisse fehlen, ebenso wie uns — um beim oben gezeichneten historischen Beispiel zu bleiben — die Forschungsergebnisse über die Vermeidbarkeit von Hungersnöten vor 1789 oder den politischen Erziehungsstand der Maria Antoinette nicht zur Hand sind. Nun ist aber noch etwas anderes, die öffentlichen Verhältnisse im Schlaglicht Beleuchtendes eingetreten :

Man empfand plötzlich das, wie wir an-. nehmen müssen, nicht unbegründete Bedürfnis, sich entschuldigen zu müssen, gleichsam um Verzeihung für diese ungewöhnliche Härte zu bitten. Es war keinesfalls nur die bürgerliche Volkspartei, in deren Reihen ja die „geldsack-schweren Kapitalisten“ zu Hause sein sollen, sondern es war ein sozialistischer Abgeordneter, . der, sicher über begründete Anregung seiner Partei, in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 30. November den armen „Geschädigten“ höchst ausführlichen Trost zusprach. Der Finanzminister tat übrigens in einem Interview mit sehr ähnlichen Worten das gleiche. Prominente Mandatare beider Regierungsparteien also fühlten die Verpflichtung, mit vielen Bücklingen und „Wenn“ und „Aber“ jenen österreichischen Ehepaaren, die nun zu den Geschädigten gezu spenden, daß alle diese Härten zufolge ver schiedener Berechnungserleichterungen, Frei betrage und Hintertürin nicht etwa bei prak tisch 150.000 S Jahreseinkommen eintreten sondern erst bei etwa 200.000 S. Und in Klammern bemerkt der Finanzminister fast klein“ laut, daß es sich dabei ja doch immerhin um ein Einkommen von 16.500 S im Monatsdurchschnitt handeln müsse...

Wohlgemerkt: wir fragen hier nicht nach der fiskalischen, der staatsjuristischen, der budgetökonomischen Seite dieser Sache. Das alles sind Gebiete des „Bewußten“, des intellektuell Berechneten und Gesteuerten. Wir fragen ganz einfach nach dem Publikum, nach der Größe und Art des Kreises jener „Geschädigten“, vor denen sich Sozialisten und Männer der Volkspartei in merkwürdig harmonischer Koalitionsgemeinschaft demütig entschuldigen mußten, weil sie ein Monatseinkommen von 16.500 S ein wenig härter zu besteuern die Absicht hatten. Wer sind denn nun eigentlich die Maria Antoinettes unserer Tage, deren unbewußte Klagelaute ob der Nöte der Zeit so vernehmlich geklungen haben müssen, daß sie sogar in der Arbeiterpartei zur Kenntnis genommen und höflich mit Trostworten beantwortet wurden?

Wir rechnen es uns ansonsten zur Ehre und Verpflichtung, Rufe wirklicher Not, wo immer sie herkommen mögen, nicht nur zu hören, sondern auch mit Nachdruck an die Öffentlichkeit zu bringen, selbst wenn wir selbst davon nicht betroffen sind. Und wenn wirklich jene kleinen Doppelverdiener von der Steuer gepackt worden wären, die die echte Not zu diesem Schritt zwingt: sie hätten uns auf ihrer Seite gefunden!

Wir sind auch nicht der etwas naiven Meinung, daß sich eigene Not durch neidvolle Wonnegefühle gegenüber denen, die jetzt „blechen“ müssen, leichter erträgt. Und wir glauben auch nicht, daß es unbedingt zu den spontanen ersten Reaktionen des Christen gehören muß, irgendeine Steuermaßnahme — treffe sie wen immer — mit jubelndem, von Schadenfreude nicht freiem Beifall zu begrüßen. (Wir lesen da im Evangelium, wenn von Steuereinnehmern, Zöllnern usw. die Rede ist, durchlaufend etwas anders akzentuierte Stellen. Und wir lesen sie auch heute noch gerne ...) Aber wir können nicht umhin, den Kopf zu schütteln, wenn wir das — offen gesagt — entwürdigende Theater verfolgen, das man mit diesen „Notleidenden“ aufgeführt hat. Am bedenklichsten aber ist, daß die Sprecher beider Parteien solche Erklärungen ja nicht mutwillig und ins Blaue hinein abzugeben pflegen. Sie müssen also über uns nicht zugängliche, seriöse Unterlagen verfügen, die besagen, daß durch diese Steuerbelastung tatsächlich ein größerer, als Wähler oder Interessent in Frage kommender Kreis von Bürgern unseres Landes betroffen ist und also schleunigst getröstet und hofiert werden muß.

Wer ist nun dieser Kreis?

Unsere Frage gilt denen, die zu ihm gehören: Habt ihr, Mitbürger, in unserem kleinen, sich der Konjunktur erfreuenden Lande, wirklich aufgeschrien, als man euch die — wir wollen gern annehmen ehrlich erarbeiteten — monatlichen 16.500 S ein wenig zu besteuern unternahm ... ? Habt ihr wirklich geweint? Vielleicht habt ihr es in Unkenntnis der näheren und weiteren Umwelt getan. Vielleicht könnt ihr euch mit naivem Unwissen entschuldigen.

Wollet aber bedenken, daß die Königin Maria Antoinette ihren bewußten Ausspruch aller Wahrscheinlichkeit nach auch ahnungslos und unbewußt getan hat.. .

Und daß dies vor der unerbittlichen Geschichte keineswegs als Entschuldigung angenommen würde.

Wir fragen, ob ihr auch das wißt?

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