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WLADIMIR ZALOZIECKY / EIN GAUKLER AUS ALTÖSTERREICH

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Fern der alten Heimat, in Tirol, feierte Professor Doktor Wladimir Zaloziecky nun seinen achtzigsten Geburtstag. In Wien, wo er seit langer Zeit zu Hause ist — übrigens nicht weit vom ehemaligen Wohnsitz seines verstorbenen „Bruders” aus der Gilde der Puppenspieler, nämlich Richard Teschner —, kennt man ihn wohl, wenn auch vielleicht nicht so gut wie in England, in Belgien oder in Deutschland, denn der vitale alte Herr mit der charakteristischen weißen Schifferkrause ist noch immer sehr oft unterwegs. Im Reisegepäck führt er seine Handpuppen mit, kuriose, improvisierte Physiognomien, aus bunten Flicken und Lappen gestückelt, aus Kürbissen geschnitten, aus bildsamem Stoff geballt, Geschöpfe, die jählings aus der Laune und Situation des Augenblicks geboren werden, wie viele der Geschichten, die sich Wladimir Zaloziecky für sie ausdenkt, kleine groteske Begebenheiten, bei denen mitten im Ulk dennoch ein Funken drastischdämonischen Humors aufblitzt, ein Funken vom Geiste Gogols etwa.

Bunt, bewegt, förmlich gestückelt und durch markante Zäsuren gekennzeichnet — wie bei vielen seiner Zeitgenossen — ist auch der Lebensweg des fröhlichen, phantasievollen Gauklers, der nun ins biblische Alter tritt. Wladimir Zaloziecky stammt aus einer begüterten Czernowitzer Familie, verbringt seine Jugend in Galizien, jenem Teil der Monarchie, über den wohl die meisten Witze gemacht wurden, der von den lebenslustigen jungen Offizieren als schrecklichste Verbannung gefürchtet wurde und dennoch einen ganz eigentümlichen Reiz besaß. In Wien absolvierte Zaloziecky das Studium der Kunstgeschichte, 1910 tritt er in die k. u. k. Zentralkommission für die Erhaltung und Erforschung von kunsthistorischen Denkmälern ein, bei Ausbruch des Weltkrieges rückt er als Ulanenoffizier ins Feld. Für tapferes Verhalten vor dem Feinde mehrmals dekoriert, gerät er schließlich in russische Kriegsgefangenschaft. Hinter Gefängnismauern und Stacheldraht entdeckt er sein Talent zum Handpuppenspiel. Zwar denkt der aus der Gefangenschaft entlassene Frontoffizier zunächst noch nicht daran, aus dem Zeitvertreib einen Beruf zu machen, sondern schlägt die diplomatische Laufbahn ein, wird Gesandtschaftsattache und Legationsrat, doch auf die Dauer lassen sich Künstlertemperament und Gauklerblut nicht verleugnen, Zaloziecky verschreibt sich schließlich ganz dem Puppenspiel, ist Regisseur, Autor, Figurenbildner und Sprecher in einer Person, spielt nach eigenen Texten, läßt sich oft von Werken Morgensterns, Wedekinds, Tschechows, ja sogar Sartres zu heiteren Szenen inspirieren, schöpft unablässig aus Erdachtem, Anekdotischem und Selbsterlebtem — es wird heute wenige Menschen in Wien geben, die so farbenreich und amüsant aus ihrem Leben zu plaudern wissen wie der bärtige Professor — und dieser Zauber einer unverwechselbaren Persönlichkeit teilt sich den skurrilen Gestalten mit, denen er seinen Geist und seine Stimme leiht. Kein Wunder, daß das Deutsche Fernsehen Zaloziecky einen langjährigen Vertrag anbot, demzufolge er nun allwöchentlich eine Sendung für das Zweite Programm macht.

Der Fabulierer aus dem Osten des alten Österreich hielt aber auch zeitlebens der alten Heimat die Treue und setzte sich immer wieder für die Interessen seiner exilierten Landsleute ein, so zum Beispiel 1933 in seiner Funktion als Präsident des Europäischen Minoritätenkongresses in London.

Man bezeichnet Wladimir Zaloziecky gern als Original und als Diogenes unter den Puppenspielern. Damit mag es seine Richtigkeit haben. Doch mehr noch: er ist wohl, um ein Wort Otto Basils auf ihn anzuwenden, einer jener Weisen, die sich zu Narren machen, um die Welt ad absurdum zu führen.

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