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Zeitkritik als Selbstkritik

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Seit John Osborne 1956 in Jimmy Porter des „Blick zurück im Zorn“ zum erstenmal die Enttäuschung der Jugend nach dem zweiten Weltkrieg verkörperte, galt er als der dramatische Wortführer, als die Stimme einer zornigen Generation von Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Es war ihm bitterernst mit seiner Zeitkritik, seiner Abrechnung mit dem England von heute. Auch der Anti-held in seinem jüngsten Stück, „Inadmissible Evidence“ („Unzulänglicher Beweis“, in der deutschen Fassung „Richter in eigener Sache“), der Scheidungsanwalt Maitland, scheint ein naher Verwandter des zornigen jungen Mannes von einst. Aber Osborne ist älter geworden und sein Kemthema mit ihm. Wenn er in den fünfziger Jahren dem Unbehagen einer ganzen Generation stellvertretend Ausdruck verlieh und alles und jeden angriff, so sind die wütenden Selbstgespräche des nunmehr rundum gescheiterten jedermann Bill Maitland vor dem totalen Zerfall im Grunde nur Vorwände für das eigene private Schuldgefühl, für den Ekel vor der eigenen Unzulänglichkeit. Eine zeitkritische Symbol-figur, hinter deren Maske der Autor als Richter in eigener Sache agiert, die nicht nur die seine ist. Es ist der verzweifelt vereinsamte Mensch in einer sich selbst mechanisierenden Welt, -der sich als Mensch noch behaupten möchte und nur aus Angst, Überdruß und Schwäche um sich schlägt, bis der Vorhang gleich einem Fallbeil niedergeht. Nichts, weder Frauen, Trinken noch eine seltsam Irreale Betriebsamkeit in der sehr realen Anwaltskanzlei helfen, dieses Leben noch eine Weile weiterzufri-sten. Denn die Gegenspieler, die sich diesem Ankläger, Zeugen, Richter in einer Person nähern, Frau, Tochter, Freundin, Angestellte, Klienten, sie verlassen ihn alle wieder und sind nur Halbwirklichkeiten, gespenstige Stichwortbringer für den monologischen Redefluß der Hauptperson, der mit fast photogetreuer Genauigkeit die Sprache aus dem Alltag „des gesichtslosen Menschen im 20. Jahrhundert“ wiedergibt.

Es ist ungemein schwierig, ein Stück, das eigentlich keines ist, dauernd in der Schwebe zwischen Traum und Wirklichkeit zu halten. Es beginnt rnit einer fast kafkaesken Alptraumszene vor einem Obersten Gerichtshöf, blendet aber dann zurück in die Realität der Anwaltskanzlei, ohne jedoch je die zwielichtige Verwobenheit von Leben und Traum ganz zu verlieren. Dem neuen Regisseur Ulrich Erfurth gelang dies im Academietheater vortrefflich, so daß die immer wieder hoffnungsloser werdende Distanz zwischen den Personen fühlbar wurde und eine gewisse Härte ein Abgleiten ins Melodramatische verhinderte. Curd Jürgens als Maitland hat die Hauptlast des mehr als zwei Stunden währenden Monologs zu tragen. Großartig der Wechsel zwischen zynischem Alltagston und gehetztem Gestammel — die Leistung eines bedeutenden Schauspielers, dem das Stück allein die dramatische Spannung verdankt. Die Episodenspieler um ihn (Lotte Ledl, Else Ludwig, Susi Nicoletti, Erika Pluhar, Helma Gautier, Manfred Inger, Peter Striebeck) ließen keinen Wunsch offen. Der Beifall für den Hauptdarsteller war stürmisch.

Ronald Duncan (Jahrgang 1914) — Freund und Mitarbeiter berühmter Männer — nennt seine neun Bilder „Satans Ende“ eine Komödie, was sie aber mitnichten ist. Es beginnt eher im Kabarettstil — Shaw, Lord Byron und Oscar Wilde pokern in einer recht gemütlichen Hölle, und Don Juan Tenorio schreibt unentwegt Liebesbriefe an Donna Anna — und endet, merkwürdig erbaulich, mit dem Tode Luzifers. Inzwischen war nämlich Don Juan wieder auf Erden gewesen, wo er im Luxushotel „Don Juan“ smarten Amerikanerinnen und deren großzügigen Ehemännern begegnet, was ihn, den ewigen Romantiker der Liebe, zur Überzeugung führte, daß dieses neue Geschlecht weder den Begriff der Sünde kennt, noch die ewige Verdammnis fürchtet. Vielleicht bedürfte es für diese sehr ungewöhnliche Mischung von Ironie und Ernst eines erfahrenen Regisseurs und eines besonderen Stils der Darstellung. Beides fehlte der Aufführung im Volks-thewter. Unter der Regie von Erich Margo geriet der Satan von Viktor Gschmeidler zu lehrhaft trocken, hatte Albert Rolant als Don Juan zuwenig Ausstrahlung und wirkte vor allem der Bischof (a priori eine nicht gerade geschmackvolle Idee des Autors) in der Darstellung von Egon Jordan wie eine Art Bobby. Recht nett Hermi Mareich und Traute Wassler als verführerische und aufgeklärte Amerikanerinnen. Rudolf Schneider-Manns Am hatte phantasievolle Bühnenbilder beigesteuert. Das Stück fand ein vergnügtes Publikum.

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