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Zeitkritik im Film

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Die Filmwochenschau aller Zonen weist seit Jahren unverkennbare Züge von Überalterung auf. Das altbewährte Erfolgsgerüst des Fox-Paramount-Typus (Todessturz auf der Avus — Erdbeben in China — Frauen-: beine in Palm Beach) knackt in allen Fugen. Das deutsche „Trichter“-System, amüsante, stark rhythmisch-musikalisch bestimmte Streiflichter, ein vielversprechender Stilversuch, ist in den Wirren des Krieges versickert; man hört jetzt aus England von einer Art Nachfolge unter dem gleichen Titel.

Seit kurzem taucht nun auch in einer der drei derzeit in Wien laufenden Wochenschauen, der amerikanischen „Welt im Film“,' eine periodisch wiederkehrende Einfügung auf, die nach Form und Inhalt Beachtung verdient und geeignet ist, das erstarrte Schema der Bildfolgen aufzulockern. Wir meinen die Blitzlichter über das „D e u t s c h- ląnd heute“. Unter prägnanten Stichworten, wie „Bahnhöfe ', „Die Schlange“, wird in Zeiterscheinungen hineingeleuchtet, vorwiegend feuilletonistisch, aber auch kritisch. Besonders glücklich ist der Sprechtext dazu abgestimmt, der eine wohlbedachte Mitte zwischen Ernst und Satire hält und dem Drückenden mancher Szene doch immer wieder den Mut zum Leben entgegenstellt.

Übrigens lägen auch für eine ähnliche Bildfolge „Österreich heute“ ergiebige Stoffe zum Greifen nahe. Das Stichwort „Volkstheater“ zum Beispiel gäbe reichlich Gelegenheit zu Reflexionen, sofern die Kamera nicht an der bekannten Wiener BüHne allein haften bliebe.

In Moskau starb am 11. Februar, 50 Jahre alt, der russische Filmregisseur Sergej Eisenstein, Schöpfer des „Panzerkreuzer Potemkin“, „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“, „Donner über Mexiko“,

„Iwan der Schreckliche“. Mit ihm verliert der russische Propagandalöwe eine seiner schärfsten Krallen (Pudowkin von den Älteren und Dsiga Wertow von den Jüngeren gehören noch zur Tatze). Wo sie Zufuhr, diese Kralle, tat sie es mit animalischem Impetus und allzu menschlicher Unbedenklichkeit (das Deutschordensdrama „Alexander New- ski“ ist eine robuste Geschichtsbeugung), aber in der Form dieses Zupackens noch lag eine königliche Geste, der kein Gegner bis zu einem gewissen Grade Anerkennung versagen konnte. In seiner Heimat galt er als der Revolutionskünstler par excellence, was mit einschloß, daß er auch einige Male oben aneckte, erst letzthin mit dem zweiten Teil des Schrecklichen Iwan. Die Filmgeschichte bucht sachlicher seine unbestrittenen Verdienste um den Fortschritt des künstlerischen Rhythmus (Schnitt, Montage). Sie verliert an Sergej Eisenstein einen Feuerkopf Büchnerscher Prägung, die Sowjetrepublik einen anderen Lenin (einige werden meinen: T rotzkij).

Am 12. und 13. Februar haben sich in Wien zwei Mordtaten ereignet, deren Technik eine sonderbare Herkunft verrät: die „Hohe Schule", wie sie an dieser Stelle erst vor kurzem genannt wurde, des derzeit in Wien laufenden englischen Films „Der perfekte Mörder“. Die Täter haben offenbar im Kino Aug und Ohr offen gehabt. Das Requisit, Gasschlauch und geschwindelter Abschiedsbrief, war nach Rezept unschwer zu beschaffen, blieb nur noch exakte Ausführung übrig (die Unterweisung war nicht kostspielig). Ein Glück, daß sich auch die Wiener Kriminalpolizei den entsprechenden Rollen des Mörderfilms gewachsen zeigte und der Findigkeit von Scotland Yard nicht nachstand.

, Hat es wirklich noch dieser eindringlichen

Demonstration der Seuchenwirkung solcher Filme gebraucht, um die verantwortlichen Stellen aufzuwecken? Keine Besatzungs- und andere Macht der Erde kann einem Lande Verwehren, eine so andauernde, gefahrdrohende Zersetzung der seelischen Substanz seines Volkes mit allen Kräften abzuwehren. Wenn man am grünen Tisch der Demokratie Erdöl und Schiffe dritteln kann,'wird wohl auch noch ein Restchen unserer kulturellen Freiheit auszuhandeln sein. Oder dürfen wir nicht, um mit Anton Auersperg zu reden, so frei sein, frei zu sein?

Inzwischen geht der Totentanz weiter. Der einzige Film der Woche — ein neuer englischer Mörderfilm, „T emptation Harbour“ („Hafen der Versuchung“). Wieder zwei perfekte Morde, wieder ein dünnes Mäntelchen Moral, wieder gestürmte Kinokassen. Und morgen vielleicht wieder eine Schlagzeile der Tagespresse.

Ein Dichter hat dieser österreichischen Tragödie unfreiwillig den Titel gegeben: Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. Der perfekte Geduldige. Der gelernte Österreicher.

Der geduldige Österreicher ... Die Wochenschau „Les actualites franęaises“ brachte in der Vorwoche die Eröffnung der Winterolympiade in St. Moritz. Den Einzug der Sportler begleitet der deutsche Sprecher mit dem Hinweis, daß „als erste Gruppe die Belgier einziehen“. Nun ist in der ganzen Sportwelt bekannt, daß dem Olympiafrieden zuliebe die nationalen Gruppen beim Einzug nach dem Anfangsbuchstaben ihres Heimatlandes rangieren, wobei „Autriche" ohne Zweifel den Vorrang vor „Belgique" hat. Wir verstehen ganz gut, daß man im Bild nicht den ganzen Vorgang des Einzugs ungekürzt wiedergeben kann. Im Text aber wird jede Veränderung zur Fälschung, gegen die man protestieren muß.

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