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Zur Psychologie der Stubenfliege

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Anfangs trieb ich dumme Scherze mit ihnen: ich schloß die Fensterläden, so daß alles dunkel war und die Sonne bloß durch die drei Spalten mit drei goldenen Rasiermessern hindurchschoß. Dann zündete ich mir eine Zigarette an. Wenn nun die Sonnenstrahlen den Zigarettenrauch durchschnitten, so jagte ich die Fliegen mit Hallo durch die hellglitzernden Rauchscheiben — das sah dann aus wie ein Springen winziger Zirkusballetteusen durch das Seidenpapier. Doch als ich neulich eine beobachtete, die auf meiner Nase stand und sich faul hinterm Flügel kratzte, da merkte ich es: daß die Fliege sich als den naturgewollten, unzweifelhaften Herrn der Welt betrachtet! Und ich begann sie ernsthaft zu studieren.

Es gibt drei Arten von Stubenfliegen: den Geschäftsreisenden, den Backfisch und drittens die normale Fliege. — Der Geschäftsreisende ist dick und hat einen soliden, bläulichen Metallglanz. Wenn er aus der Sonnenschwüle mit starkem Gebrumm in mein kaltgrünes Zimmer her- einschießt, so reißt er eine Welt von Hast und Unruhe mit sich in meine Stille. Der ist nicht bloß so hereingeflogen, um zwecklos herumzutrippeln und grüblerisch den Kopf mit den Vorderbeinchen zu reiben, nein, der gibt dir posaunend zu verstehen, daß hier einer schwer arbeitet, Familienvater ist, eventuell Krankenkassenmitglied, und überhaupt gar keine Zeit hat. Time is money, t-t-i-m-m-e brummt er, daß alles Glas ins Zittern kommt, und hat im Laufe des Tages noch eine Riesentour zu erledigen. Etwa vierzig Geschäftsreisende besuchen mich jeden Vormittag. Noch nie hat hier einer irgend etwas gefunden, nicht einmal midi selber. In sausenden Schleifenflügen klappert er die adit Zimmerecken ab, stößt ein paarmal gegen die Fensterscheiben und schießt ebenso eilig über die knallroten Bauemblumen wieder ins Goldene hinaus.

Der Backfisch dagegen ist klein, schmal und fliegt lautlos mit drei Kameradinnen um einen imaginären Kronleuchter, der von der Deckenmitte meines Zimmerchens keineswegs herunterhängt. Ihr Flug hat etwas Schwebendes, Anhimmelndes; sie leben effektiv von Luft und Liebe. Treibt man sie fort, so ist es geradeso, als ob man ein paar Vierzehnjährige vom Bühneneingang verscheucht; im nächsten Moment sind sie wieder da. So schwärmen sie in schwachsinniger Monotonie stundenlang um dasselbe Nichts und besitzen dennoch vor dem menschlichen Backfisch einen entscheidenden Vorzug — sie gehen nicht über die Straße und lassen dort ein Paket fallen, um dann über diese Tatsache stundenlang wie wahnsinnig zu lachen.

Nun aber kommt der Feind, die normale Stubenfliege. Hergestellt wird sie bei Frau Hammerl, vulgo Talnbäüerin, die unten an ihrem mächtigen Bratofen wirtschaftet (von der zu mir herauf lediglich der Morgengruß „Ham S' sdio fruagstuckt" dringt, eventuell noch die Feststellung „Hoaß is!“, und die in dieser Skizze überhaupt nur die Rolle der allweisen, allgegenwärtigen Natur spielt und sonst nicht weiter vorkommt). Wie ich zu der normalen Stubenfliege stehe, das zeigen die herabhängenden Honig- bänger: zuckende Friedhöfe, entsetzenstarrende Streifen vom „no man’s land der Fliegen — ein feinstimmiges Todesgeheul, ein trübsinniges Stapfen durch den Honigsumpf, ein verzweifeltes Hin- aufkriechen auf bereits ermattende Mitopfer — kurz, man merkt, daß die Tierliebe bei Fliegen und etwa Krokodilen, also wo'c ernst wird, stillschweigend haltmacht.

Die normale Stubenfliege leidet an der gräßlichsten Langeweile, da sie ihre Lebensbedürfnisse sofort und überall

— an einem Zuckerstäubchen, einem Milchtropfen — stillen kann, längst gestillt hat, und nun nicht weiß, was anfangen! Endlich hat sie deine aus den Laken ragende Nasenspitze entdeckt — ein neues Lebensziel ist in Sicht: sie hat dort nichts zu suchen, weiß genau, daß sie sofort verscheucht wird, weiß auch, daß sie dabei den Tod riskiert — aber sie fliegt dennoch hin! Und scheucht man sie weg, so kriegt sie erst einen Schneid auf die für sie'völlig wertlose Nasenspitze, setzt Charakter auf, spielt „Wer ist hartnäckiger“, tupft auf der Flucht noch eilig , den Rüssel hin — und alles bloß, um die Zeit auszufüllen. Man stelle sich doch nur vor, daß wir Menschen so ein listiges Megatherium, so einen fleischernen Eiffelturm, der fürchterlich zuschlägt, aus purer Langeweile besteigen würden, und man wird begreifen, daß die Fliege dieses aus dem Mut der Masse tut, aus dem Mut der Ratten, Ameisen, Wanzen und Läuse: denn hinter ihr stehen Milliarden. — Plötzlich aber kommt Leben in die Bude, nämlich ein Fliegenweibchen, das in koketten Loopings sich produziert, wobei man direkt ihre Glutblicke sehen kann. Zwei, fünf sind sofort hinter ihr her. Nach dem unvermeidlichen Kuß fliegt die Dame munter ins Weite, während das Männchen stehenbleibt und starr vor sich hin glotzt — so nur einem jener charakteristischen Wiener Autos vergleichbar, die auch plötzlich quer auf der Mariahilfer Straße stehenbleiben und weder vor- noch rückwärts wollen, weil der Chauffeur in ein tiefes, nasenbohrendes Nachdenken versunken ist.

Und wird es Nacht, so stehen sie sämtlich schlafend auf der Zimmerdecke — in einer Weise, die allen Gesetzen der Physik Hohn spricht. Man kann sie dann leicht mit einem Roman von Thomas Mann totdrücken; aber kein richtiger Jäger wird sich auf so etwas einlassen. Denn auch Fliegenjagd ist Jagd, weil es ja nicht auf das Wild, sondern auf die Sensation des Anschleichens ankommt, auf den einen, wahren Jagdmoment, wo man das Opfer noch nicht hat und doch schon hat: es kann noch entrinnen, aber nein, es wird nicht entrinnen! Daß es dann später auch so kommt, ist ja bloß ein fades Nachklappen der Realität.

Aber was hilft das alles — der Fliegen sind zu viele. Langweilig, dann wieder grundlos aufgeregt, fliegen sie wie schwarze, zudringliche Gedanken im Zimmer herum; und hast du sie nieder- gekämpft, und sterben sie wie die Fliegen, so surrt gleich ein Schock neue zum Fenster herein... Darum laßt uns die Fenster sorgfältig schließen und ein beschauliches, wenn auch ungelüftete Dasein verbringen.

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