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Zwei Rebellen

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SIND MARXISTEN DIE BESSEREN CHRISTEN? Ein Streitgespräch zwischen Quentin Lauer SJ. und Roger Garaudy. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter Schneider. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gisela Rasch. In der Reihe: „Standpunkte.“ Verlag Hoffmann und Campe. Hamburg, 1969. 136 Seiten. DM 7.80. — „DER REBELL MIT DEM KRUMMSTAB“ von Roger Bourgeon. Roman um Helder Cämara. Aus dem Französischen übersetzt von Curt Winterhalter. Verlag Herder, Freiburg—Basel—Wien. 223 Seiten. S 124.30.

Die zur Zeit so beliebten Streitgespräche zwischen prominenten Vertretern verschiedener Religionen und Ideologien, hinterlassen, von den Massenmedien ins Haus geliefert, im interessierten Zeitgenossen den deprimierenden, von Mal zu Mal sich verstärkenden Eindruck, als sollten sie insgesamt nur die Irrelevanz der Vernunft für alles beweisen, was den Menschen tiefer angeht, was spezifisch menschlich ist. Denn beiden Seiten gibt die Vernunft gleich einleuchtende Argumente an die Hand, wo immer an ihrem Namen gestritten wird. Hätten daher nicht unsere „Herzen“, will sagen, unsere un- und außervernünftigen Seelen, noch ehe das Gespräch begann, zum voraus, emotionell und irrational, ihre Wahl getroffen, den „Sieger festgestellt, wir müßten, wie das römische Volk in Shakespeares „Julius Cäsar“, beiden Seiten unsere ehrliche Begeisterung bekunden und ihnen zujubeln. Bewunderns- und des Wun-derns wert ist die Vernunft ja auf jeden Fall. Darum erregt der Wettstreit großer Geister in uns auch gewöhnlich ganz andere und positivere Gedanken: Wir meinen in solchen Show-Gesprächen vor allem ein Zeichen der Toleranzgesinnung unserer Zeit zu erkennen. Und ist sie nicht wirklich tolerant? Tolerant in Worten und mit Worten freilich nur. Nicht aber in ihren Taten, trotz dieser Gespräche. Immer noch sollen ihre ach (!) so menschlichen Zwecke ihr die allzumenschlichen Mittel heiligen: Garaudy, gewiß ein ehrenwerter Mann von großem Scharfsinn — von dem er uns hier eine glänzende Probe gibt — war doch einverstanden mit dem Gehängtwerden seines ungarischen Genossen Rajk und ebenso mit dem der russischen Ärzte, weil sie angeblich Stalin nach dem Leben getrachtet hatten. Er war einverstanden, obwohl er — laut Jean Cau, der darüber anläßlich eines anderen Streitgesprächs, zwischen Garaudy und dem Jesuiten Danielou, am 30. Mai 1970 im „Paris-Match“ berichtet — sich in beiden Fällen über die Schuld der Geopferten nur oberflächlich und aus zweiter Hand informiert hatte. Garaudys Verantwortung, er habe von ihrer Unschuld nicht gewußt, lehnt Cau mit den Worten ab: Ce n'est pas vrai, Garaudy ne voulait pas savoir!“ Also er wollte nicht wissen. Was Cau sich doch nicht zu sagen getraute, wenn es auch darüber noch ein Streitgespräch abzuführen gälte. Inzwischen ist Garaudy zu Vernunft gekommen: Er wurde bekanntlich heuer von seinem Posten als Chefideologe der französischen KP entfernt und aus dieser ausgeschlossen. Nein, auf die Vernunft, so tolerant und gesprächsbereit sie sich gibt, ist kein Verlaß. Sie, die uns allen gehört, gehört doch — eben darum — keinem von uns wirklich und ganz.

Ein umso glänzenderes Bild bietet sie, wenn sich zwei so ausgezeichnete und geschulte Köpfe ihrer bedienen, wie es Garaudy und der Jesuit Lauer nun einmal sind. Ihr Gespräch, obwohl von höchstem Niveau, vermag auch den philosophisch weniger beschlagenen Leser stets zu fesseln. Wie bei einem Boxkampf zählt man die Punkte, die der jeweils Redende sich zu sichern weiß. Und man ist jedesmal unfähig sich vorzustellen, wie der andere die Scharte wieder ausbessern werde, was dann prompt geschieht. So recht ein Schauspiel, wie wir es lieben. Aber ach! ein Schauspiel nur! Doch ein ausgezeichnetes Buch.

Kein solches ist das, dem brasilianischen Erzbischof Helder Cämara, einem Rebellen ganz anderer Art, gewidmete Buch Bourgeons. Es gibt darin keine glänzenden Höhepunkte, nur Anläufe zu großen Szenen, die dann kleine werden. Diese Lebensgeschichte möchte ergreifen und tut es nicht. Und als Informationsquelle ist srie zu umständlich. Wie konnte der sichtlich routinierte Autor, der über eine reiche Ausdrucksskala verfügt, das „Soll“ so verfehlen? Er ist freilich nicht der erste, dessen Kunst an einer Biographie gescheitert ist. Sein Roman ist die Arbeit eines „Schenzingers der Kirche“, ein eher technisches Produkt, denn eines der Kunst. Diese hätte freilich groß sein müssen, um dem Leben dieses Großen zu genügen, einem Leben, das bei allem äußeren Glanz seine Antriebe aus Tiefen holte, worin einzudringen und die darzustellen Gnade wäre. Hinzufügen muß man noch, daß es dem an soziale Gerechtigkeit gewöhnten Wohlstahdseuropäer schwer wird, heute noch an die echte Notwendigkeit eines „Priesters der Armen“ zu glauben. So sind wir nun einmal. Wer Cämara liebt — und wer liebt ihn nicht? — der wird dennoch dieses Buch über ihn besitzen wollen und daran Freude haben.

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