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Melodische Revolutionsoper

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Im Theater an der Wien wurde Giordanos Oper „Andre C h e n i e r“ neuinszeniert, ein „musikalisches Drama mit geschichtlichem Hintergrund“. Der geschichtliche Hintergrund ist die Französische Revolution; der Held des Dramas: der 1762 in Konstantinopel geborene Sohn einer Griechin, war der einzige bedeutende französische Lyriker des 18. Jahrhunderts, Verfasser mehrerer hundert Eklogen, Elegien, Poeme und Oden, begeisterte sich für die Sache des Volkes, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, geriet aber bald selbst in die Säuberungsmaschine und wurde am 25. Juli 1794, zwei Tage vor dem Sturz Robespierres, guillotiniert. Welch ein Schicksal, und was für ein Opernstoff — auch für einen zeitgenössischen Komponisten, dessen Held dann etwa Garcia Lorca heißen könnte... Aber Giordanos Textdichter, L. lllica, ging es vor allem um die Liebe des revolutionären Dichters zu der jungen Gräfin Madeleine de Coigny, um die Eifersucht des aufrührerischen Gärtnersohnes und um das tragisch-schöne Ende der beiden Liebenden. In dieser Schlußszene setzt auch der Komponist — wie Verdi in „Aida“ — im Liebesduett der Todgeweihten den Punkt auf das „i“. Diese Melodie ist unwiderstehlich und mag nicht wenig zum Welterfolg eines Werkes beigetragen haben, das sich neben den viel reißerischen von Puccini, Leon-cavallo, Mascagni und Boito behauptet. Denn Umberto G i o r d a n o, der erst vor sechs jähren starb, aber seinen ersten (und letzten) großen Erfolg bereits 1896 hatte, besitzt einen eigenen Ton, und seine Sprache bewahrt auch an den leidenschaftlichsten Stellen eine gewisse Würde. Die einzelnen Partien sind wirkungsvoll, aber ohne plumpe Effekthascherei angelegt, das Orchester klingt voll und farbig, ohne daß man den Autor als einen raffinierten Intsru-mentator bezeichnen könnte. Wenn man alle diese Qualitäten — das wirkungsvolle Textbuch nicht zu vergessen — ins rechte Licht setzt, kann eine Neuinszenierung des vielfach erprobten Werkes eigentlich kaum danebengehen. Erich Bormann a. G. war der geschickte Regisseur Robert K a u t s k y schuf veristisch-zweckmäßige Bühnenbilder (Salon im gräflichen Schloß, ein Platz in Paris, Revolutionstribunal im Freien und Gefängnishof), Rudolf M o r a 11 dirigierte mit Schwung und aufmerksamem Ohr für die Schönheit des Orchesterklanges. Die Hauptpartien waren mit Helge Rosvaenge, Hilde Zadek, Theo Bayle und Elisabeth Höngen hervorragend besetzt. Im ganzen: Ein glanzvoller Opernabend und eine attraktive Bereicherung des Repertoires, obwohl den Gestalten Illica-Giordanos jede Transparenz und ihrem Schicksal Symbolik und Allgemeingültigkeit mangeln. Daran mußten wir denken, weil im Repertoire der Staatsoper seit Jahren ein anderes Revolutionsdrama schlummert — Einems Oper „Dantons Tod“ nach Büchner, die all das, wa „Andre Chenier“ fehlt, in reichem Maße besitzt.

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