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China ist nahe
Bei uns völlig unbekannt und auch mangels Kenntnis, Verständnis und Interesse unbeachtet („Escalation“, „Des Teufels Seligkeit“) geht dennoch Im Filmschaffen Italiens eine Entwicklung vor sich, die vermutlich schon in einigen Jahren in filmhistorischen Werken als „neue Richtung“ bezeichnet werden wird, nämlich die des „jungen italienischen Films“, des einzig wirklich Jungen“ Films, dessen Intentionen und auch Ergebnisse über die eines amateurhaften Revoluzzerteams (wie in der deutschen Bundesrepublik) oder nicht minder amateurhaften Selbstverherrlichung (wie bei uns in Österreich) hinausgehen. Hinter diesen Filmen steckt nämlich sowohl ein gründlich erlerntes handwerkliches Können — wobei man selbstverständlich einige Außenseiter auszunehmen hat — als auch eine echte sozialkritische Überzeugung, sie haben nicht nur ein aktuelles Anliegen, sondern auch Mut, gepaart mit ehrlichem Idealismus; wenn viele Mißstände im öffentlichen Leben Italiens, in der Gesetzgebung wie Erziehung, langsam eine Änderung erfahren, ist es nicht zuletzt das Verdienst dieser mutigen jungen Filmschöpfer (und ihrer Vorläufer), die in ihren Werken die etablierte Gesellschaft und ihre Stützpfeiler beständig anprangern — und dies in einer Form, die sowohl der Publikumsmasse verständlich als auch zumutbar erscheint (nämlich gekleidet in das Gewand der Satire, der Groteske, aber auch der harten Anklage).
Bei uns völlig unbekannt und auch mangels Kenntnis, Verständnis und Interesse unbeachtet („Escalation“, „Des Teufels Seligkeit“) geht dennoch Im Filmschaffen Italiens eine Entwicklung vor sich, die vermutlich schon in einigen Jahren in filmhistorischen Werken als „neue Richtung“ bezeichnet werden wird, nämlich die des „jungen italienischen Films“, des einzig wirklich Jungen“ Films, dessen Intentionen und auch Ergebnisse über die eines amateurhaften Revoluzzerteams (wie in der deutschen Bundesrepublik) oder nicht minder amateurhaften Selbstverherrlichung (wie bei uns in Österreich) hinausgehen. Hinter diesen Filmen steckt nämlich sowohl ein gründlich erlerntes handwerkliches Können — wobei man selbstverständlich einige Außenseiter auszunehmen hat — als auch eine echte sozialkritische Überzeugung, sie haben nicht nur ein aktuelles Anliegen, sondern auch Mut, gepaart mit ehrlichem Idealismus; wenn viele Mißstände im öffentlichen Leben Italiens, in der Gesetzgebung wie Erziehung, langsam eine Änderung erfahren, ist es nicht zuletzt das Verdienst dieser mutigen jungen Filmschöpfer (und ihrer Vorläufer), die in ihren Werken die etablierte Gesellschaft und ihre Stützpfeiler beständig anprangern — und dies in einer Form, die sowohl der Publikumsmasse verständlich als auch zumutbar erscheint (nämlich gekleidet in das Gewand der Satire, der Groteske, aber auch der harten Anklage).
Zweifellos wurde der Grund zu dieser FiilmpolemSk schon in den großen Werken des heute so geschmähten Neoverismo gelegt, und unbedingt sind die Filme der „großen Alten“, wie AhtöWioni urtd (der frühere) Visconti, die Vorbilder — und auch die noch nicht so eindeutig klaren Satiren eines Ferrari und Germi die Zwischenglieder, die über die engagierten Werke Rosis, Bologninis und Pasolinis zu dieser Bewegung des „jungen italienischen Films“ führen, als deren Erstling wahrscheinlich Marco Bellocchio mit „I pugni in tasca“ (Die Fäuste in der Tasche) 1965 zu nennen ist. In diesem Angriff gegen die Institution der Familie provoziert Bellocchio alle Tabus bürgerlicher Pietät und stellt damit die Grundordnung der heutigen Gesellschaftsformen in Frage, wobei die politische Absicht noch verdeckt ist. In seinem zweiten, weitaus gradlinigeren Film „La Ciną ė vicina“ 1967 (ein unübertragbares Wortspiel, das soviel wie „China ist nahe“ bedeutet) ist Bellooėhios Aussage offen: „China ist sehr fern für die, die es nahe glauben, aber sehr nahe für die, die es fern glauben “ — und dieser Titelslogan ist fast das Programm der ganzen jungen Gruppe, die heute zu einem Drittel die italienische Produktion ausmacht.
„Die Fäuste in der Tasche“ war das Vorbild, der Bahnbrecher, ohne das die anderen Werke, die gegen die Bourgeoisie ankämpfen, vielleicht gar nicht möglich gewesen wären: Salvatore Samperis „Grazie, zia!“ 1967 (mit dem unfaßbaren deutschen Synchrontitel „Des Teufels Seligkeit“ versehen), die hier unverstanden gebliebene erschreckende Abrechnung mit der Wohlstandsgesellschaft, die Auflehnung in Ohnmacht verwandelt, gefolgt von seinem bösartigen „Cuore die mamma“ (Mutterherz), 1969, und „II figlio prodigo“ (Der verlorene Sohn) über den Mord am Individualismus im Räderwerk der technologischen Gesellschaftsordnung; Paolo und Vittorio Tavianis „Sovversivi“ (Subversive), 1968, eine politische, kulturelle und moralische Bewußtseinsuntersuchung vor dem Hintergrund des Begräbnisses von Togliatti, eine „optimistische Tragödie“, wie es das Regiebrüderpaar selbst nennt; und schließlich Bernardo Bertolucci, der 1964 mit „Prima della rivoluzione“ (Vor der Revolution) den Impuls zu dieser Neubesinnung und Erneuerung gab,
einer ironischen Bestandsaufnahme über die Agonie einer spätbürgerlichen Ordnung, in der ein Mitwirkender zu sagen hat: „Kino ist eine Frage des Stils, und Stil ist eine 'Fra
Aus diesen Ideen — die sogar ihren Niderschlag in manchen bei uns so verachteten und verkannten Italowestern finden (deren Analyse keinem hiesigen Kritiker notwendig erscheint) — erwuchs eine filmische Bewegung, die ebepso revolutionär wie weitgreifend ist: Italiens Film hat sich in einem Maße darauf ein- und umgestellit, daß das Echo auch bei uns unüberhörbar sein wird. Liliana Cavani mit „I cannibali“, Elda Tattoli mit „Pianeta Venere“, Roberto Faenza mit „Escalation“, Maurizio Ponzi mit „I visionari“ (Die Schwärmer), Gianni Amico mit „Tropici“, Edoardo Bruno mit „La sua giomata di gloria“ (Sein ruhmreicher Tag) und Valentino Orsini mit „I dannati della terra“ (Die Verdammten der Erde) zeigen in ihren Filmen, wie nahe China wirklich ist, auch wenn wir es, blind, nicht wahrhaben wollen
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