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DER GROSSE ENTDECKER

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Josef Jarno zum 100. Geburtstag

Josef Jarno, der vor 100 Jahren — am 24. August 1866 — in Budapest geboren wurde, war in erster Linie ein Entdecker, der zeitlebens darauf ausgegangen war, literarisches und schauspielerisches Neuland aufzuspüren. Wer in der Geschichte des Wiener Theaters zurückblickt, dem wird offenkundig, daß Jarno auf der Josef städterbühne Wedekind und Strindberg herausbrachte, und zwar zu einer Zeit, da man in der Aufführung ihrer Werke ein überflüssiges literarisches Experiment sah. Doch blieben diese beiden Dichter nicht die einzigen, denen der Direktor der Josefstädter Bühne seine Pforten öffnete. Franzosen von Courteiine bis Anatole France, Molnär mit seinem „Liliom“, Schnitzler; Schörfherr unß Hart- : leben wurden von Jarno mit ihren Erstlingswerken aufge- führt:

Jarno war ein großer Publikumerzieher, einer, der auch davor nicht zurückschreckte, mit künstlerischer Strenge denen entgegenzutreten, die einem Bühnenwerk den nötigen Respekt versagten. Er soll einmal bei der Aufführung eines Stückes ins Parkett gerufen haben: „Sie sind bei keiner Posse, Sie sind bei einer Dichtung!“ Ein Vierteljahrhundert war Jarno leitend am Theater in der Josefstadt tätig, das bei seinem Amtsantritt als künstlerische Heimat von Pariser Kokottenstücken verschrien war. Aber nur bis dahin! Zu den großen Leistungen Jarnos gehören auch vollendete Aufführungen von Oscar Wilde, in denen er auch als Darsteller — seine weibliche Gegenspielerin war Maria Hofteufel — brillierte. Die Schauspieler liebten und fürchteten Jarno, der seinen Kunstwillen einem jeden aufzwang.

Wenn man von Jarno als Entdecker spricht, dann braucht man bloß den Theaterkalender aufzublättern, und immer wieder wird man auf einen klangvollen Namen stoßen, dessen Träger oder Trägerin als Anfänger unter Jarnos Schutz heraus gestellt wurde. Um nur einige zu nennen, die unter seiner Führung herangewachsen waren: Hans Moser und Maierhofer, Höbling und Strassni, Paul Morgan und Kurt Lessen, die Damen Lude Englisch, Nora Gregor, Mimi Kött und zahlreiche andere. Auch Pallenberg zählte zu seinen Entdeckungen. Und was hat Josef Jarno für die Künstlerschaft seiner Gattin, der großen Volksschauspielerin Hansi Niese geleistet! Er hat ihre Auffassungsweise im ernsten Rollengebiet entscheidend beeinflußt. Die Niese hatte oft erzählt, wie sie einmal auf der Probe eine große Szene spielte: Jarno sitzt wie gewöhnlich im Parkett und beobachtet sie von dort. Er schickt den Theaterdiener auf die Bühne, die Künstlerin solle, wenn sie fertig sei, auf einen Moment zu ihm hinunterkommen, er habe ihr etwas zu sagen. Was er ihr zu sagen hatte, war dann folgendes: „Wenn du dir in deiner Rolle selbst so leid tust, dann erreichst du nichts damit, als daß du den anderen nicht mehr leid tust.“ Die Niese hat erzählt, daß ihr mit diesem einzigen Satz ein Licht aufgegangen sei. Sie hatte sofort die ganze Partie in sich umgearbeitet und nicht diese allein. Sie hatte auch kein Hehl daraus gemacht, daß sie jenen einfachen, natürlichen Ton, der ihre gewaltige Wirkung auf die Zuhörer ausmachte, vor allem Jarno verdankte.

Jarno selbst war ein Darsteller von starker Eigenart, ein Charakterschauspieler ersten Ranges, ein Charmeur, wie es nur wenige auf der Bühne gegeben hat. Aus der langen Reihe seiner Rollen seien etwa der Kapitän in Strindbergs „Totentanz“, der Gustav in Strindbergs „Gläubiger“ und der Kaplan Schigorski in Halbes „Jugend“ hervorgehoben.

Josef Jarno starb am 11. Jänner 1932 in Wien, der Stadt, auf deren Kunstleben er einen bedeutenden und entscheidenden Einfluß ausgeübt hatte. Wenn auch der heutigen, jüngeren Generation der Name Jarno nichts oder doch nur wenig sagt, so möge sie dennoch wissen, daß er einer der ganz Großen in Wiens Theatergeschichte der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts war, ein ganz Seltener, ein Bühnenkünstler von besonderer Eigenart, ein Entdecker großer Dichter und Schauspieler, von welch letzteren noch ein kleiner Teil bis in die jüngste Zeit hineinreicht.

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