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Akademische Unlust

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Gut gezielt, aber schlecht getimt, mußte die dringliche Anfrage der ÖVP an Frau Wissenschaftsminister Dr. Firnberg zwar zunächst warten, doch das Thema, das darin angesprochen wurde, dürfte der Regierungspartei noch vor dem Herbst oder spätestens im Herbst manches Kopfzerbrechen verursachen. War es damit doch der ÖVP gelungen, sich zum Fürsprecher einer der einflußreichsten und zugleich unzufriedensten pressure groups in diesem Land zu machen.

Wobei die Unzufriedenheit der Hochschullehrer keineswegs so vordergründig, wie es die ÖVP in ihrer dringlichen Anfrage andeutete, auf einem augenblicklichen Versagen der Regierung beruht. Es ist vielmehr so, daß aktuelle Probleme, welche die Professoren bedrängen, durch die Enttäuschung trügerischer Hoffnungen noch härter empfunden werden. Oder, wie es ein Hochschullehrer gegenüber der FURCHE ausdrückte: „Auch NichtSozialisten haben sich von Frau Dr. Firnberg einiges erwartet, und diese Erwartungen wurden durch Versprechungen verstärkt. Jetzt stellt sich heraus, daß auch sie nur mit Wasser kocht.“

Mittlerweile haben sich die Fronten so versteift, daß bereits das Wort von der Universitätssperre im Herbst fiel. Während Frau Dr. Firnberg der Meinung ist, Österreichs Hochschulen hätten noch nie so viel Geld gehabt wie heute, erklären die Professoren, die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, seien auf der ganzen Linie zurückgegangen — gekürzt durch Kaufkraftverlust. Sowohl für Gehälter als auch für die Verwaltung sowie für Bauzwecke stünde heuer weniger Geld zur Verfügung als im Vorjahr, hielt die Rek-torenkonferenz den rosa eingefärbten Statements der Ministra entgegen.

Der neue Sturm in der österreichischen Bildungspolitik wurde zwar von der ÖVP teilweise in ihre Segel gelenkt, ist aber keineswegs ihr Werk. Er hat seine Grundlage in einer tiefsitzenden Mißstimmung eines großen Teiles der Professorenschaft, die nicht nur in den Dingen, die die Frau Wissenschaftsminister tut beziehungsweise nicht tut, ihren Ursprung hat. vielmehr wirken viele Faktoren zusammen.

Einer davon ist ein verstärkter Zustrom von Studenten, der in einigen Fächern bereits den Studienbetrieb emsthaft gefährdet — dabei wird in vielen Fällen mehr Wert darauf gelegt, überhaupt zu studieren, als darauf, ein bestimmtes Fach zu wählen. Wenn es so weitergeht, könnte eines Tages auch Österreich zu jenen Ländern gehören, die mit dem Problem der akademischen Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Dabei werden durch Raum- und Personalnot die Möglichkeiten, eine steigende Zahl von Studenten auf steigende berufliche Anforderungen vorzubereiten, immer weiter eingeengt.

Soziologische Umschichtungen, die auch die Universität und deren Selbstverständnis tangieren, verbinden sich mit dem Druck von unten sowie mit ministeriellen Profes-sorenentmachtungsplänen und erzeugen ein Klima der akademischen Unlust, in dem es für Dr. Firnberg immer schwieriger wird, zielführend zu agieren.

Offenbar erntet sie jetzt, gemeinsam mit einigen Ministerkollegen, die Früchte undurchführbarer Versprechungen, halber und ganzer, mit denen der Regierungschef in der Phase der Siegeseuphorie nach zwei gewonnenen Wahlen so schnell zur Hand war, wobei die Professoren Versprechungen naturgemäß nicht so schnell vergessen können wie die breite Schichte der Wähler.

Dabei drängt sich mehr und mehr der Eindruck auf, daß die Frau Wissenschaftsminister zum Opfer eines übergeordneten Zielkonfliktes geworden ist; man könnte auch sagen, daß ein von der in Inflationshysterie umschlagenden Inflationsangst total okkupierter Finanzminister den Blick dafür verloren hat, wo die Fetischisierung der 15pro-zentigen Budgetbindung zum Widersinn zu werden droht. Wenn ein Rektor Winkler bereits täglich zittern muß, der Bau des Juristengebäudes nächst der Börse (an Stelle des geschleiften Semperithauses) könnte eingestellt werden, wenn ausländische Professoren, die zu Vorträgen nach Wien eingeladen werden, nach ihrer Heimkehr Österreichs Schäbigkeit kolportieren, die sich in einem 500-Schilling-Honorar und einer 200-Schilling-Tagesdiät ausdrückt, wird auf diese Weise zweifellos weit über jeden stabilitätspolitischen Effekt solcher Sparsamkeit hinaus Schaden gestiftet.

Offenbar ist die beim Antritt der gegenwärtigen Regierung mit so großen Versprechungen bedachte Bildungspolitik im Begriff, zum Prüfstein für einen ganzen Katalog von irrealen programmatischen Zukunftsperspektiven zu werden, die sich in dem Augenblick, in dem sie der ersten inflationären Welle zum Opfer dargebracht werden, als leerer wahlstrategischer Schaum oder bestenfalls als gute, aber unrealistische Absicht entpuppen. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, wenn die Stunde der Wahrheit dieser Regierung ausgerechnet im Wissenschaftsministerium, und damit im Bereich des alten Unterrichtsressorts, schlägt.

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