Sommerurlaub: Mises und das Faultier

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Das Faultier liegt am Ende eines Erkenntnisweges – dem entlang der Mensch sich fragt, was der Sinn der Arbeit sein soll.

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Das Faultier liegt am Ende eines Erkenntnisweges – dem entlang der Mensch sich fragt, was der Sinn der Arbeit sein soll.

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Im Urlaub blühen in den sozialen Netzwerken Dokumente der Entspannung. Hier das Porträt eines Fußes auf Sonnenliege mit lackierten Zehennägeln, zweifelhaft schön vor ein Bergpanorama gesetzt. Dort ein Stillleben mit Alpencampari und Bratl auf kleinkariert-rotweißrotem Tuch.

Es ist diese Zeit, in der das Tier im Menschen meint, wie schön, dass Zeit zum Faulenzen, Fressen, Verdauen ist. Es sind Ferien, eine Ausnahmesituation, die sich in unserer Vorstellung nur durch viel Arbeit herstellen lässt. Man muss sie sich quasi verdient – also erlitten – haben, um sie wirklich schön finden zu dürfen. Sigmund Freud würde daran seine Freude haben. Er sagt ja, die Gesellschaft sei durch Neurose und Arbeitszwang zusammengehalten. Der Urlaub ist so gesehen sowohl das Gegenteil als auch die Bestätigung der Lebensmüh. Die Mühe aber bleibt das zentrale Element.

Urlaub ist Gegenteil und die Bestätigung unserer Lebensmüh durch Arbeit. Er ist aber auch Aufforderung, uns auf dem Weg des Faultiers selbst zu heilen.

Diese Einstellung entspricht auch unserem Vorurteil über Wirtschaft. Der gehe es dann gut, wenn sich möglichst viel bewegt und möglichst viel gearbeitet wird. Deshalb arbeiten Ökonomen auch so gerne mit nimmermüden Insektenstaaten als Vorbildern, nicht umsonst schrieb Mandeville die Bienenfabel.

Aber gerade unter Säugetieren finden wir häufig Wesen, die mit einem gegenteiligen Prinzip Erfolg haben: Arbeite wo möglich nicht, ruhe wo möglich ausgiebig, verbringe Zeit langsam, verbrauch sie nicht zu schnell. Das gilt vor allem für das Faultier. Es verbraucht durch seinen extrem langsamen Stoffwechsel enorm wenig Energie. Es frisst und verdaut dabei gemächlich Blätter und Grünzeug. Die Langsamkeit seiner Bewegungen müsste es eigentlich zu einer leichten Beute für Raubtiere machen, ja es müsste nach unserem Kriterium „arbeite, um zu leben!“ längst ausgestorben sein.

Hingegen lebt es seit über 70 Millionen Jahren in allen Größen und Gewichtslagen vor sich hin und vor uns her. Und es würde wohl noch weitere Jahrmillionen leben, brächte der Mensch es nicht an den Rand der Ausrottung. Man kann an seinem Wesen kein Idealbild für Menschen festmachen, denn diese ökonomische Verbrauchs- und Bedarfsstruktur, diese Effizienz sind tatsächlich unmenschlich.

Und doch liegt das Faultier am Ende eines Erkenntnisweges, dem entlang der Mensch sich fragt, was der Sinn der Arbeit sein soll. Ludwig von Mises sagt, man arbeite nicht, um etwas zu schöpfen, sondern um zu vergessen. Je automatisierter die Arbeit, desto eher steige das hoch, was man vergessen möchte. Das klingt doch sehr nach neurotischer Verdrängung. Wenn also die Arbeit die Neurose hervorbringt, dann führt der Urlaub – so er unbeschäftigt genug abläuft – zur Heilung durch Konfrontation mit dem Verdrängten. In diesem Sinn ist Urlaub der Weg zu innerer statt äußerer Arbeit, also zur Genesung durch das Faultier in uns. Genießen Sie es!

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