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Arabiens altes Gesicht schwindet

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Forschung und Innovation aus Österreich tragen entscheidend dazu bei, daß vom alten Orient für die Wissenschaft und kulturbeflissene Touristen einiges erhalten bleibt.

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Forschung und Innovation aus Österreich tragen entscheidend dazu bei, daß vom alten Orient für die Wissenschaft und kulturbeflissene Touristen einiges erhalten bleibt.

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Der Eigenverlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften bereitet einen ethnographischen Atlas über Saudi-Arabien vor. Sein Autor ist der erste Völkerkundler, der jemals an Ort und Stelle wissenschaftliche Untersuchungen durchführen durfte: der Arabienspezialist Univ.-Prof. Walter Dostal vom Institut für Völkerkunde der Wiener Universität.

Das Primat, sich der Völkerkunde Saudi-Arabiens zugewendet zu haben, gebührt zwar Pater Joseph Henninger vom Missionshaus St. Gabriel in Maria Enzersdorf bei Mödling. Nur war der Pater von der Gesellschaft des göttlichen Wortes niemals in diesem Land. Seine Schriften basierten auf Arbeiten diverser Reisender. Denn damals, als er alles vorhandene Material studierte — und das war erst in den vierziger Jahren —, riskierte noch wie in all den Jahrhunderten zuvor der sein Leben, der es wagte, auf der arabischen Halbinsel mehr als Handel zu treiben. Trotzdem hatten immer wieder Wissenschaftler verschiedener Disziplinen Versuche gemacht, in das Land zu gelangen. Und für jeden, der es nicht schaffte, fand sich ein anderer, der den Geheimnissen der größten Halbinsel mit großer Vergangenheit auf die Spur kommen wollte.

Anders war die Situation für den Wiener Völkerkundler Dostal. An ihn erging sogar 1970 die Einladung eines Scheichs, für das in Planung begriffene Nationalmuseum von Riad eine ethnographische Abteilung aufzubauen und aufzuzeigen, welche traditionellen Bauten, Werkzeuge und Lebensformen das geographisch unterschiedliche Land mit seinen gewaltigen Wüstenzonen, spärlichen Oasen, weiten Ebenen, ausgedörrten Steppen, zerklüfteten Bergen und verkarsteten Hügeln besitzt.

Besser gesagt: noch besitzt. Denn durch die Erschließung des 1938 entdeckten Erdöls und den damit verbundenen neuen Wohlstand nach westlichem Muster schwindet Althergebrachtes in rasantem Tempo. Allenthalben werden Wochenmärkte durch Supermärkte ersetzt, an Stelle von Häusern mit Ziegelornamentik entstehen Wohnblocks aus Stahl und Beton. Und statt des Dromedars beherrschen immer mehr Autos die Straßen, die in einem immer dichter werdenden Netz die Ballungszentren Riad, Djidda, Mekka, Medina, Damman, Hofuf, Taif und Al-Khobar miteinander verbinden.

Zu einer wirklich umfassenden ethnographischen Bestandsaufnahme kam Dostal aber erst Jahre später. Ausgehandelt wurde das unter dem Titel „Notethnographie" laufende Projekt 1977 im Rahmen eines Kulturabkommens zwischen Österreich und Saudi-Arabien. Es wurde auch von beiden Seiten finanziert. Ausgeführt wurde es dann in den Jahren 1980, 1981, 1982 und 1983. Und zwar jeweils zwischen November und März. Während dieser kalten Jahreszeit arbeitete Dostal gemeinsam mit Andre Gingrich und je einem Studenten des Wiener Universitätsinstituts — darunter Ewald Stadler und Johann Heiss — im südlichen Hidjas und Azir sowie in der Küstenebene der Ti-hama.

Dabei entdeckten sie eine von Europäern noch nie zuvor erforschte Bauernkultur. Für sie charakteristisch ist die Architektur, deren Bauweise von Landschaft und Klima bestimmt wird. So stehen im gebirgigen Hidjas Dörfer mit ein- bis dreistöckigen Häusern in Steinbauweise, die mit Wehrtürmen versehen sind. In Azir dagegen sind die Häuser aus Lehmziegeln errichtet. Je nachdem aber, ob das Dorf in 2.000 bis 3.000 Meter Höhe oder in der ebenen Trockenzone liegt, weisen die mehrstöckigen Bauten Giebeloder Kuppeldächer auf. Außerdem besitzen die Häuser im Hochland zusätzlich Steinschindeln,deren Aufgabe es ist, den Regen abrinnen zu lassen. In der heißschwülen Küstenebene von Tiha-ma begegnet man Hütten in Lattenbauweise, bei denen die Latten (oft sind es die Zweige der Dattelpalme) mit Lehm verschmiert werden.

Wie die Österreicher ermittelten, nehmen die Schmiede nach wie vor eine Sonderstellung ein. Diese sind nämlich wie seit eh und je Wanderhandwerker, die nur vorübergehend in die Stammes-' Organisation aufgenommen werden. Das heißt, die Dorfgemeinschaft stellt dem Schmied für eine bestimmte Zeit ein Haus zur Verfügung, baut ihm eine Werkstatt und beliefert ihn mit einem Teil der Ernte. Dafür muß der Schmied Eisengeräte produzieren und reparieren.

Vor rund dreißig Jahren, so erfuhr Dostal, hatten die Schmiede im Tagbau das Eisen noch selbst gewonnen und in eigenen Zentren verarbeitet.

Zu diesem Zeitpunkt gab es auch noch eigene Tischlerzentren, wo man reich geschnitzte Haushalts- und landwirtschaftliche Geräte, allenfalls auch mit geometrischen Mustern versehene Säulen für die Innenräume mancher Haustypen herstellte. Heute werden diese Gegenstände nicht nur nicht mehr gemacht. Sie werden in zunehmendem Maß auch nicht verwendet. Denn in den Haushalten hat Kunststoff einen triumphalen Einzug gehalten.

Traditionell geblieben ist bloß -mit Ausnahme des Schuhwerks — die Kleidung der Frauen. Vornehmlich natürlich bei jenen Frauen, die zusammen mit den Kindern und Alten in den Dörfern leben, während ihre Männer in den Städten oder Ölraffinerien arbeiten. Und dafür sorgen, daß in den elektrifizierten Häusern weder Radio noch Fernsehapparat fehlen.

Denn das Land zwischen Rotem Meer und Persischem Golf verändert von Jahr zu Jahr sein Gesicht. Dostal konnte einen letzten Rest des alten Antlitzes dokumentieren und fotografieren. Nach ihm bekamen zwei Italiener und ein französischer Ethnologe die Erlaubnis, Forschungen anzustellen. Sie haben die alte Kultur fast nur noch auf dem Müll angetroffen.

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