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Aus slawischen Landen

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Seit langem wird an die Geschichtschreibung das Verlangen gerichtet, sich nicht — nach der Sitte feudaler Zeiten — nur mit dynastischen Familienangelegenheiten und Schlachten zu befassen; ebensowenig dürfte sich ein heutiger Historiker bei der politischen Geschichte — nach der Sitte bourgeoiser Zeiten — auf den Wechsel von Ministern und Programmen der Parteien beschränken. Von diesem Standpunkt aus gebührt alles Lob dem saarländischen Doktoranden, dem Stipendiaten des Münchner „Collegium Carolinum“, der in den Wiener Staatsarchiven, in den Prager Archiven geforscht, neben der älteren einschlägigen deutschsprachigen und tschechischen Literatur auch die einschlägigen Werke der heutigen Tschechoslowakei benützt hat, um einen bedeutsamen Zeitabschnitt Böhmens zu beschreiben; er hat „Die Ära Bach in Böhmen“ als einen Abschnitt sozialer Geschichte aufgefaßt. Für die Verhältnisse der Klassen in jener Zeit war ja zweifellos die Tatsache maßgebend, daß Österreichs Neoabsalutismus einerseits die politischen Ambitionen der Bourgeoisie kräftig unterdrückte, die politischen Vorrechte des Adels nicht wiederherstellte, dem arbeitenden Volk eigene Bestrebungen nicht erlaubte, aber anderseits sich dadurch Getreue schuf, daß er dem arbeitenden Volk persönliche, zumal bäuerliche Freiheit gewährleistete, dem Adel herrschaftliche Güter und damit tatsächliche Vorrechte beließ, und der kapitalistischen Bourgeoisie den Beginn ihres wirtschaftlichen Siegeszugs gestattete. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Autor mit der einschlägigen kommunistischen Literatur- dort übereinstimmt, wo er diese Bourgeoisie — eben auch die deutschböhmische — für die Nachteile des frühen Kapitalismus verantwortlich macht; sie sind allzu notorisch, und er liest das kommunistische Schrifttum nicht etwa mit unkritischen Augen. Es ist auch verständlich, wenn er dem Adel — und zwar mit ausdrücklichen Vorbehalten, wie sie einem gewissenhaften Historiker obliegen — vorwirft, gegen diese kapitalistischen Mißbrauche ungenügend aufgetreten zu sein. Man wird es dabei gegenwärtigem Rezensenten gönnen, sich zu freuen, wenn S. 227 der Prälat aus hochadeligem Hause genannt wird, der aus gegebenem Anlaß die schändliche Kinderarbeit zur Sprache gebracht hat.

So vieles wird aus dem Aktenmaterial und dem Schrifttum jener Zeit verarbeitet, daß diese arbeitsreiche Buch noch gute Dienste leisten wird. Gewiß — manches mag man bei den Personalien der handelnden Personen vermissen, was dem Verständnis noch helfen würde; jeder politische Kommentar aber ist Ansichtssache. Auch mag man manche sprachliche Eigenheit anmerken — oder ist dies eine Generationenfrage? So, wenn man den besprochenen Zeitabschnitt als „neoafosolutes Jahrzehnt“ bezeichnet — doch wir wollen uns nicht auf die sprachlichen Ausführungen einlassen, die unser Kopfschütteln über diesen Ausdruck erklären würden.

Vor Zeiten war es zweifelhaft gewesen, ob Böhmen als ein abendländisches Staatsgebiet diese Art der Verfassungskrise erleben werde. Wer nachlesen will, wie Böhmen oder vielmehr dessen damalige Schutzmacht Mähren daran war, dem christlichen Morgenland eingegliedert zu werden und wie Rußland in der Tat diesem Morgenland — der Orthodoxie — zufiel, dem hat die „Styria“ die deutsche Übersetzung der ältesten Erzählungen mit hochwillkommenem Kommentar zur Verfügung gestellt. Mit großer Freude wird der Geschichtsfreund diese reizvollen Schriften mit ihrem dankenswerten Zubehör lesen, zumal die zweite Auflage des 1. Bandes einer beliebten Reihe noch verbessert worden ist.

DIE ARE BACH IN BÖHMEN. Sozialgeschichtliche Studien zum Neo-absolutismus 1849—1859. Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Band 26. Von Christoph Stölzl. R. Oldenbourg, München, 360 Seiten, DM 38.—.

ZWISCHEN ROM UND BTZANZ. Leben und Wirken der Slawenapostel Kyrillos und Methodios nach den Pannonischen Legenden und der Klemensvita. Bericht von der Taufe Rußlands nach der Laurentiuschronik. Ubersetzt, eingeleitet und erklärt von Josef Buj noch. Slawische Geschichtsschreiber, Band I, Styria, 2. Auflage 1972. S 160.—.

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