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Auseinander: die Herstellung gleicher Menschen hat ihren Preis
Was war das damals doch spannend, als ich nach langem „Leiden" in der Schule der Kleinen, zu denen ich nicht mehr gehören wollte, endlich in die Schule der Großen, ins Gymnasium, gehen durfte. Damals gab es ja noch das Initiationsritual der Aufnahmeprüfung. Da mußte, nein, da durfte man das erste Mal die ersehnten hohen Hallen betreten, um anhand einiger kleinerer Übungen zu zeigen, daß man mit seiner eigenen Aufgeregtheit fertig werden konnte.
Sodann änderte sich der Schulweg. Anstatt noch länger die längst langweilig gewordenen stillen Gassen des behäbigen 3. Bezirks zu durchschlendern, konnte ich nunmehr in den spannenden 1. Bezirk, in die Innere Stadt eben, eindringen. Da gab es viele verschiedene Wege, auf denen es immer wieder etwas zu beobachten, zu erkunden, zu bestaunen gab. Das förderte meine Entwicklung nachhaltig, führte aber infolge der unausbleiblichen Unpünktlichkeit zu einer kritischen Bewertung meines „Betragens" durch meine Lehrer. Und dann der Heimweg! Der wiederum führte - gleichermaßen erfreulich wie stets verführerisch - durch den Stadtpark mit seinen vielen Möglichkeiten, die schulisch und städtisch gehemmte Bewegungslust junger Leute zu befriedigen sowie Hosenböden, Strümpfe und Schuhe zu beschädigen.
Natürlich änderte sich auch in der Schule allerlei. Es gab ständig Lehrerwechsel. Ob geplant oder zufällig, konnten wir damals natürlich nicht herausbekommen. Jedenfalls war es ganz angenehm, einem weniger geschätzten Pädagogen niemals länger als fünfzig Minuten ausgesetzt zu sein. Ja, und dann war da noch eine Besonderheit: Auf einmal waren die Mädchen weg! Ein Umstand, der sich allerdings erst ab der Mittelstufe als so recht störend bemerkbar machte.
Während in der Volksschule fast vor jedem Kurzbehosten ein Zopf baumelte oder wenigstens ein Pferdeschwanz pendelte, an dem man, wenn einen die Langeweile übermannte oder einfach der Hafer stach, ziehen konnte, waren die jungen Herren - zumindest in meinem Gymnasium - unter sich. Die Mädchen hatten ihre eigenen Lehranstalten. In der Zeit der Pubertät sollten sich Männlein und Weiblein getrennt entwickeln dürfen. Die ,.Koedukation" -welch künstliches Wort für eine höchst natürliche Angelegenheit! - hatte sich noch nicht durchgesetzt. Sie wurde erst später flächendeckend eingeführt. Wie alles, was Menschen je eingeführt haben, soll sie nunmehr auch wieder abgeschafft werden, teilweise jedenfalls. Damit sich die Mädchen chancengleicher entwickeln können, sollen sie, zum Beispiel in den Naturwissenschaften, getrennt unterwiesen werden. Das fordern keineswegs ultramontane Reaktionäre oder neue Frömmler, das ist die allemeueste Forderang frauenbewegter Progressistlnnen. Die Herstellung von gleichen Menschen hat eben ihren Preis.
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