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Blick in den „Spiegel“

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Können Sie sich vorstellen, daß eine Amateurtheatergruppe Schillers „Don Carlos“ bewältigt? Daß bei Kostümen, Dekorationen und Darstellung kaum ein Wunsch offenbleibt? Daß ein theaterbegeisterter Finanzbeamter dieses überlange Stück in eine ungeheuer pak-kende Zweistundenfassung bringt, in der kaum etwas Wesentliches fehlt, und mit einem disziplinierten Ensemble so inszeniert, daß die entscheidenden Szenen ergriffener miterlebt werden als bei mancher Berufstheateraufführung?

Die Gruppe, der dieses gelang, ist das Ensemble „Der Spiegel“. Hervorragende Hauptdarsteller, hier Fritz Grubauer (Philipp II.) - auch Leiter und ständiger Regisseur der Gruppe - und Hannelore Patzelt (Elisabeth), haben auch andere Ensembles, aber einen solchen Gesamteindruck, ein derart geringes Gefälle von den Trägern der Hauptrollen zu denen der Nebenrollen findet man bei Laienschauspielern sonst äußerst selten.

„Der Spiegel“, in den zu blicken sich immer lohnen dürfte, nennt sich die Theatergruppe der Pfarre „Namen Jesu“ in Wien-Meidling seit 1964, das Theaterspiel in dieser Pfarre hat aber noch längere Tradition. Fritz Grubauer erinnert sich noch an die ersten der nun schon an die 30 Inszenierungen der Gruppe: „Die Ahnfrau“ von Grillparzer und „Der Zerrissene“ von Nestroy. Jährlich werden zwei bis drei Stücke produziert.

Das Ensemble hat den Vorteil, in der Pfarre einen eigenen Theatersaal zu besitzen. Der vor vier Jahren fertiggestellte neue Saal, dank unermüdlicher, idealistischer Arbeit der beiden Bühnen- und Beleuchtungstechniker der Gruppe -Reinhold Sokele und Herbert Lu-nardi - mit optimalen technischen Einrichtungen versehen, wurde mit Anouilhs „Becket“ feierlich eröffnet. Als denkwürdige Erfolge des Ensembles seit 1964 erwähnt Grubauer noch Goethes „Urfaust“, „Maria Stuart“ und „Kabale und Liebe“ von Schüler, „Das Mädl aus der Vorstadt“ von Nestroy, „Der öffentliche Ankläger“ von Hochwälder, „Der Löwe im Winter“ von James Goldman, Zuckmayers „Die Uhr schlägt 1“ und Roman Brand-staedters „Tag des Zornes“.

Das gute Dutzend ständiger Mitwirkender kommt zweimal wöchentlich zu Proben zusammen, knapp vor Premieren öfter. Alle Altersstufen (von 20 bis 75) und verschiedenste Berufe - Selbständige,Angestellte, Hausfrauen - sind vertreten. Grubauer bekennt sich zu einem autoritären Regiestil, der sicher mitentscheidend für den Erfolg seiner Inszenierungen ist. Bei den heiteren Stücken strebt er niveauvolle Unterhaltung an, bei den ernsten die Darstellung von Menschenschicksalen, von Problemen, „die morgen den Zuschauer betreffen können“, wobei ihm Ort und Zeit des Stückes unwesentlich erscheinen.

Neben einem ausgezeichneten Fundus von Dekorationen und Kostümen (letzterer stets durch Leihstücke ergänzt) verfügt die Gruppe über einen Lastwagen und^ ein transportables Stahlgerüst, um gelegentlich mit erfolgreichen Inszenierungen auf Tournee zu gehen. So verdanken die jetzt vo'n Berufsschauspielern bestrittenen Sommerspiele von Neulengbach ihre Entstehung den „Spiegel“-Mimen, die nun ihre Sommeraufführungen nach Gobelsburg bei Langenlois und Freistadt verlegt haben. Für Juni und Juli 1978 bereiten sie dafür Hofmannsthals „Jedermann“ vor.

Schon im April soll in der heimatlichen Pfarre, der - abgesehen von einem kleinen Betrag für Neuinvestitionen - sämtliche Einspielergebnisse der dortigen Aufführungen zugutekommen, Bahrs „Konzert“ über die Bühne gehen. Das ständig wachsende Stammpublikum der Gruppe - rund 1000 Zuschauer bei den jeweils fünf Vorstellungen einer Inszenierung in Meidling - wird sich diesen Termin sicher rechtzeitig vormerken.

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