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Zofen und Unvernünftige

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Seit der Verfasser dieses Berichts im Sommer 1947 zum erstenmal in Freiburg im Breisgau war und Reinhol d Schneider in der Mercystraße aufsuchte — nicht nur, um den berühmten Mann kennenzulernen, sondern auch um ihn als Mitarbeiter für die vor kurzem gegründete „FURCHE” zu gewinnen, war es ihm zur Gewohnheit geworden, anläßlich dieser Besuche (jeweils gegen Ende der Saison oder im Herbst, aber auch zu Weihnachten oder Ostern) fast alljährlich auch die Städtischen Bühnen dieser liebenswerten Stadt zu besuchen, die als eine der schönstgelege- nen Süddeutschlands gilt.

Diesmal gab es keinen Besuch mehr bei Reinhold Schneider, auch nicht an seinem Grab, denn er wurde in der Familiengruft in Baden-Baden bestattet. Und was die Städtischen Bühnen betrifft, wo wir mehrere Intendanten, Hauptspielleiter und Chefdirigenten kommen und gehen sahen, hatten wir, was das Große Haus betrifft, kein Glück. Zwar standen Wagners neueinstudierte „Meistersinger” sowie „Porgy and Bess” auf dem Spielplan, aber gerade nicht innerhalb jener Woche, die uns zur Verfügung stand. Wen es immer noch gab, das war der bewährte und viel- erfahrene Intendant Volkmar von Collande, der schon vor einigen Jahren das „Podium” eingerichtet hatte, das, wenn ich mich recht erinnere, mit einem Stück von Arrabal eingeweiht wurde. Und dort, in dieser ein wenig wie ein Filmstudio aussehenden Experimentalbühne, die hauptsächlich von den Studenten der großen, alle Fakultäten umfassenden Universität besucht wird, standen zwei Stücke auf dem Programm, die der Musik- und Opernkritiker aber gewissermaßen nur als „Interessent” besuchte und bei deren Besprechung er sich auf seinen Gesamteindruck von der Interpretation beschränken wird. r

Als „Die Zofen” von Jean Genet 1947 von Louis Jouvet im Pariser „Theatre de l’Athėnėe” uraufgeführt wurden, bestand der Autor darauf, daß die drei in Haßliebe ineinander verbissenen, aneinander gefesselten hysterischen Personen von Männern gespielt werden sollten. Daran hielt sich auch der Freiburger Regisseur Franzjosef Dörner, dem Klaus Teepe ein fast prunkvolles Bühnenbild im Louis-XV.-Stil in den spartanischen Rahmen gestellt hatte, in dem die drei von Helga Schwartzkopff luxuriös ausgestatteten „Damen” agierten: Franz Josef Nagler als Claire. Raymund M. Stahl als Solange und Werner En giert als die „gnädige Frau”. — Was diese drei in dem pausenlos ablaufenden Eineinhalbstundenstück leisteten (ohne sichtbaren Souffleur), war außerordentlich und faszinierend. Jedenfalls war das Groteske und Schreckliche, das für Genet so charakteristisch ist, jede Minute spürbar.

Am nächsten Abend gab es dann, ebenfalls in dem fast ausschließlich von Studenten und anderen Jugendlichen bevölkerten Podium-Theater, Peter Handkes Stück „Die Unvernünftigen sterben aus”, das, 1973 geschrieben, bereits an mehreren deutschsprachigen Bühnen gegeben wurde, derzeit von der „Jungen Burg” im Rahmen des „Steirischen Herbstes” in Graz aufgeführt wird und am 27. Oktober ins Akademietheater kommt. Über den Inhalt und die Problematik dieses mir nicht recht geglückt scheinenden Stückes wird nach der Wiener Premiere unser Theaterreferent berichten. Zur Thematik nur ein Satz von dem das Stück und seine Aktion dominierenden Unternehmer Hermann Quitt: „Nur ein Leben im Luxus ist keine Strafe. Nur der äußerste Luxus ist menschenwürdig, das Preiswerte ist das Unmenschliche.” Die Inszenierung von Wolfgang Poch können wir #icht beurteilen, da es uns an Vergleichsmaßstäben fehlt, Bühne und Kostüme von Said Ragab erschienen zweckmäßig (gewöhnliche Zivilkleider, wie man sie heute trägt und entsprechende Büroausstattung). Wieder erwies sich Raymund M. Stahl als ein brillanter Schaupieler, Bernd Schorlemer gab dem Kleinaktionär liebenswürdig-kleinkarierte Züge, Sonja Donalies dominierte schon von der Rolle her als Freundin über Quitts Ehefrau Ilse Boettcher, die weiteren Mitwirkenden waren die Herren Kilburger, Kadius, Michaelis und Poch. — Und wieder wurde pausenlos fast zwei Stunden lang mit unsichtbarer Souffleuse durchgespielt.

Alltäglich führte uns unser Weg ins Villenviertel, wo auch das Theater, gegenüber der Universität, liegt, von der Hauptstraße in Herdern, dem Sitz des HERDER-VERLAGES, durch die Habsburgerstraße und die Franz-Joseph-Straße. A. E. I. O. U. (Siehe auch die Vornamen einiger der oben genannten Schauspieler.) Und tatsächlich: hier, in dieser südwestlichen Ecke fühlt sich der Zugereiste innerhalb der Bundesrepublik noch am ehesten „heimisch” …

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