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Blüte der kurzen Jahre

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Je älter wir werden, desto rascher verfliegen die Jahre, desto häufiger müssen wir verzichten, desto unerwarteter loslassen. Desto neidvoller aber blicken wir auch auf jene, die alles noch vor sich haben. Ob wir es zugeben oder nicht. Vielleicht stört uns darum der Karfreitag am meisten, weil hier dieses Muster durchbrochen wurde. Vielleicht kann auch der fromme Jude darum in diesem jungen Mann, der sich freiwillig Spott, Marter und qualvollem Leiden aussetzt, am wenigsten den Messias erkennen. Wie soll einer, der noch auf fast nichts zurückblicken kann, anderen ein Geleitsmann und Tröster werden?

In der Tat: abgebrochenes Leben in der Blüte der Jahre. Wen die Götter lieben, den holen sie jung zu sich? Aber das ist ja römische Weisheit, die allenfalls bei Mozart- oder Schubertgedenken wieder hervorgeholt wird. Auf den Mann, der am Kreuz klagt, daß sein himmlischer Vater ihn verlassen habe, paßt sie gewiß nicht. Die kurzen Jahre, dieser ga- liläische Frühling, wie man ihn gern nannte — warum war ihnen keine Fortsetzung beschieden?

Wir wissen es nicht und die Schrift gibt uns auf diese Frage keine Antwort. Wir können es nur ahnen: wer sich ganz Gott anvertraut, hat ihm die Verfügung über sein Leben abgetreten. Für ihn gelten andere Maßstäbe an Reife, Erfahrung und Vollendung.

Nicht umsonst preist der, dessen Schmerzenstod wir heute beklagen, Zu Lebzeiten die Kinder und Unmündigen selig. Nicht umsonst sehnen wir uns oft jenen Glauben zurück, der noch nicht von Zweifeln, Gewohnheit und unmerklicher Auszehrung bedroht war. Da ich ein Mann wurde, schreibt Paulus, tat ich kindliches Wesen ab. Wem schlägt dies aber wirklich zum Heil aus? Sind die kurzen Jahre nicht doch die besseren?

Aber da sind die wenigen, die nicht nostalgisch zurückblicken, sondern sich, kaum zum Mann geworden, kaum zur Frau gereift, bereits vollendet haben. Christus allen voran. Aber auch der Heilige aus Assisi, Terese von Avila, Dietrich Bonhoeffer. Ihr Sterben war kein Abbruch.

Die Starken wird er zum Raube haben. So heißt es in der Prophezeiung auf den kommenden Messias. Er, der ans Kreuz geht, ist nicht ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sondern buchstäblich verraten und verkauft. Darum ist er uns so nahe, darum ist noch seine Todesangst Trost und Hilfe in eigenen Nöten. Darum zählen wir nicht mehr die eigenen Jahre, seit der eine so jung für uns gestorben ist.

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