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Blütezeit im Exil

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Volle zehn Jahre, von 1945 bis 1955, dauerte das Exil des Burgtheaters in der Himmelpfortgasse. Sechs davon standen unter der Leitung von Josef Gielen, der nach seinem zehnjährigen Exil in Südamerika nach Wien berufen wurde. Dort wohnte er zwar in den unversehrt gebliebenen Räumlichkeiten der Burgtheaterdirektion am Ring, als Direktor amtiert hat er jedoch ausschließlich im Ronacher. Der Gedanke, daß dort einmal der große Heinrich Laube residiert hat, mag für Gielen in Anbetracht der räumlich beengten und technisch unzulänglichen Zustände im Ronacher nur ein magerer Trost gewesen sein.

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Volle zehn Jahre, von 1945 bis 1955, dauerte das Exil des Burgtheaters in der Himmelpfortgasse. Sechs davon standen unter der Leitung von Josef Gielen, der nach seinem zehnjährigen Exil in Südamerika nach Wien berufen wurde. Dort wohnte er zwar in den unversehrt gebliebenen Räumlichkeiten der Burgtheaterdirektion am Ring, als Direktor amtiert hat er jedoch ausschließlich im Ronacher. Der Gedanke, daß dort einmal der große Heinrich Laube residiert hat, mag für Gielen in Anbetracht der räumlich beengten und technisch unzulänglichen Zustände im Ronacher nur ein magerer Trost gewesen sein.

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Als ich in der zweiten Hälfte Dezember 1947, nach meiner Rehabilitierung, zum erstenmal den Zuschauerraum des Ronacher betrat, uim mir eine van Herbert Waniek inszenierte Aufführung von Shakespeares „Ein Sommemachtstraum” amzusehen, war ich über die Weiträumigkeit des Hauses erstaunt. Breit und offen hingelagert war der horizontal orientierte, gut übersehbare Saal und entbehrte nicht einer gewissen Feierlichkeit. Nichts von der turmartigen, beklemmenden Höhe des Stammhauses am Lueger- Ring.

Doch betrat man das Ronacher durch das in der Himmelpfortgasse gelegene Bühnentürl, war es um alle Weiträumigkeit und Feierlichkeit geschehen! Überall Enge und unübersichtliches Winkelwerk.

Alles, was zum Betrieb gehörte, Direktions- und technische Büros, Herren- und Damengarderoben, Dramaturgie- und Regiekanzlei waren in den verschiedenen Stockwerken jenes entlang der Himmelpfortgasse gelegenen Traktes zusammengepfercht. Um zu seinen Auftritten zu gelangen, mußte man sich über halsbrecherische Treppen und Treppchen und durch enge Gangerin und Schluffe zwängen. Eine steile eiserne Stiege führte zu der im Kellergeschoß gelegenen Kantine. Von dort aus stiegen kurz nach Probenbeginn regelmäßig die Gulaschdämpfe zur Bühne auf.

Im Ronacher gab es natürlich keine Einzelgarderaben. Zu viert und noch mehr waren wir untergebracht. Diese Beengtheit hatte auch ihr Gutes. Man kam sich näher. Dicht neben dem Bühnenausgang in der Himmelpfortgasse befand sich in der Schellinggasse eine kleine Gastwirtschaft, die von Mutter Schöff- mann und ihren beiden Töchtern geführt wurde. Es gab dort eine ganz vorzügliche Küche und gute Getränke. Beinahe regelmäßig, wie zu den Zeiten des letzten Burgtheater-Stammtisches in der Bankgasse, trafen sich dort nach der Vorstellung viele Kollegen, Garderober und Bühnenarbeiter.

Wie alle Notzeiten, förderte auch unser zehnjähriges Exil in der Himmelpfortgasse durch seine räumliche Beengtheit nicht wenig unser Zusammengehörigkeitsgefühl. Dieser positiven Wirkung im Bereich des Menschlichen standen im Sachlichen natürlich enorme Schwierigkeiten gegenüber. Sie bekam vor allem der Direktor jener Tage, Josef Gielen, zu spüren. Gielen war vor allem Regisseur. Alle administrativ-bürokratischen Verpflichtungen, die ihm aus seiner Stellung als Direktor erwuchsen, waren Gielen im Grunde ein Greuel. Er war kein starker Mann, kein Besessener, sondern ein von Haus aus beschaulicher, sinnenfroher Augenmensch, der ganz besonders den bildenden Künsten zugetan war. Die Tatsache, daß Gielen während seines zehnjährigen Exils in Buenos Aires am Teatro Colön zusammen mit Fritz Busch ausschließlich Opern inszenierte, könnte dazu verleiten, anzunehmen, daß die Musik die Wurzel seiner Regiebegabung gewesen sei. Dem war aber nicht so. Nicht das Ohr, sondern das Auge war für Gielens Regieführung bestimmend. Massenszenen sowie Haupt- und Staatsaktionen logisch und dabei doch malerisch aufzugliedem, gepaart mit dem unbedingten Willen, sie zu vermenschlichen, war das Bestreben des Regisseurs Gielen. Gerade dieser Wille zur Vermenschlichung brachte ihn mir auch persönlich nahe, so daß wir Freunde wurden. Als ich im Februar 1949 wieder heiratete, trug sich mir Gielen, mit dem ich damals gerade „Julius Cäsar” probierte, von sich aus als Trauzeuge an. „Du wirst es nicht bereuen”, meinte er, „ich bin ein erprobt guter Beistand.” Er sollte recht behalten. Denn nun durften ich und meine liebe Frau nach einer wahrhaft glücklichen Ehe bereits die silberne Hochzeit feiern. Am 19. Februar 1949, an unserem Hochzeitstag, probte Gielen mit mir, der ich den Cassius spielte, so intensiv dessen Szene mit Brutus, daß wir beinahe zu spät zur Trauung gekommen wären.

Während seiner Emigration in Buenos Aires war Gielen seinem eigentlichen Wirkungskreis, dem großen Schauspiel, entzogen worden. Während seiner Burgtheaterdirektion holte er dies Versäumnis gründlich nach. Damals schenkte er dem Burgtheater unter den schwierigsten technischen Voraussetzungen eine lange Reihe der schönsten Inszenierungen. Den Reigen eröffnete Bruckners „Elisabeth von England” mit Maria Eis und dem wieder heimgekehrten Werner Krauß als König Philipp II. Es war Gielens erste Regie als Direktor des Hauses. Ihr folgten: „Julius Cäsar”, Claudels „Der seidene Schuh”, „Faust II”, „Was ihr wollt”, „Götz von Berli- chingen”, Zuckmayers „Gesang im Feuerofen”, Shaws „Cäsar und Cleopatra”, „Emilia Galotti”, Lorcas „Bluthochzeit”, „Wallenstein” (Piccolomini und Tod), Eliots „Mord im Dom” vor der Jesuitenkirche, „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua”, „Wilhelm Teil” und Millers „Hexenjagd”.

Es war, neben der großen Kammerspielzeit des Akademietheaters unter Berthold Viertel, die große klassische Zeit des Ronacher. Unter Gielens und Viertels Führung machten viele Mitglieder unseres Hauses eine große Karriere. Man denke nur an Curd Jürgens, O. W. Fischer und Oskar Werner.

Nach ihnen griff der Film und entzog sie dem Theater. Für meinen Begriff am klarsten und nobelsten hat O. W. Fischer dem Burgtheater die Treue gebrochen. Er erklärte offen und ehrlich, die ungeheure materielle Chance seines Lebens, die ihm der Film bot, einfach nicht aus- schlagen zu können. Er wisse genau, was er dem Burgtheater zu danken habe, müsse es aber trotzdem verlassen. Auch Jürgens und Werner konnten der Verführung durch den Film nicht widerstehen. Alle drei erlangten dort Weltruhm und Reichtum. Als Gielen Oskar Werner zur zweiten Eröffnungsvorstellung des neuen Hauses am Ring für die Rolle des Don Carlos beanspruchte und jemand meinte, daß die Rückberufung eines Künstlers, der das Burgtheater eigenmächtig verlassen, nicht angängig wäre, erklärte ihm Gielen unter Berufung auf ein Zitat von Max Reinhardt: „Wenn ich einen Schauspieler brauche, so schneide ich ihn mir auch vom Galgen herab.”

Josef Gielen hatte einmal die Absicht, dem unbestrittenen Meister des Kammerspieles, Berthold Viertel, die Direktion des Akademietheaters zu überlassen. Damit hätte er seinem Schwager nicht nur seinen ureigensten Wirkungsbereich eingeräumt, sondern auch einen Teil des ihn so sehr bedrückenden administrativen Baiastes abgeworfen. Doch Viertel lehnte ab, beriet aber Gielen nach wie vor auf dem Gebiet der modernen angelsächsischen Literatur, die Gielen durch sein zehnjähriges Engagement an die südamerikanische Oper aus dem Auge verloren hatte. Immer wieder drängte es Viertel, im Ronacher Klassiker zu inszenieren. Dies geschah mit drei Shakespeare-Werken: mit „König Richard II.”, „Othello” und „Antonius und Kleopatra”, mit Baiser und der Gold am 23. Februar 1953. Dieser letzte Versuch mißlang völlig. Ungefähr ein halbes Jahr später, am 24. September 1953, stirbt Viertel.

Emen Monat danach vollzieht sich eine ganz entscheidende Wachablöse. Egon Hilbert verlor am 20. Oktober 1953 wegen Differenzen mit Unterrichtsminister Kolb seinen Posten als Leiter der Bundestheaterverwaltung, den er an den Schriftsteller und Ministerialrat Emst Marboe abgeben mußte, der kein Bürokrat war und ganz eingenwillige Entscheidungen zu treffen pflegte.

Aus „Des Hauses und meine Wandlungen” dritter Band der Serie „Heimat Burgtheater” von Fred Hennings. 196 Seiten, 129 Schilling, vor kurzem erschienen im Verlag Herold. Wien-München.

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