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Brennender Feuerofen

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Unter den 34 Uraufführungen, mit denen die „Hellenische Woche für zeitgenössische Musik“ dieses Jahr aufwarten konnte, befanden sich posthume Premieren von Nikos Skal-kottas und Iani Christou, Realisierungen graphischer Partituren von John Cage und Anestis Logothetis, elektronische Partituren von Michael Adamis und Stephanos Vassiliades, Multi-media-Werke von Theodore

Antoniou und Nikos Marnangakis, kurzum: alle Richtungen zeitgenössischer Musik waren vertreten und unter ihnen stand Musiktheater an prominenter Stelle. Man war auf alles gefaßt, auf alles vorbereitet, das Einzige, was man kaum erwartet hatte, war die Uraufführung eines byzantinischen Mysterienspiels, das begreiflicherweise beträchtliches Aufsehen erregte.

Das Manuskript des „Brennenden Feuerofens“, das aus dem 15. Jahrhundert stammt, wurde vor einigen Jahren von dem Musikwissenschaftler Dr. Milos Velimirovic in der Athener Nationalbibliothek entdeckt, von Michael Adamis übertragen, von J. Nicoloudi und ihrer Gruppe gestaltet und von einem byzantinischen Chor gesungen.

Die Aufführung berief sich in allen

Einzelheiten auf die Überlieferung aus dem 11. Jahrhundert, wie sie in alten Manuskripten erhalten ist. „Nach dem Morgengottesdienst“, so heißt es im Text, „sobald der Feuerofen hergerichtet ist und die drei Kinder bereit sind, singt der Kantor den Idiomeion und die betenden Knaben betreten den Ofen .. .“ Wenn die Worte „Der Engel Gottes kam hernieder“ ertönen, wird der Engel über den Kindern heruntergebracht. Bei der achten Ode „Lobet den Herren“ tanzen die Kinder im Ofen mit weit ausgebreiteten Armen, das „Gesicht gen Himmel gewandt'“. Danach beginnt die Messe.

Ch. Georgakis-Obolensky hatte für die Aufführung eine stark stilisierte Bühnengestaltung und archaisch anmutende Kostüme entworfen. Die Feuersbrunst wurde durch brennende Kerzen angedeutet, Spiel und Gesang hatten etwas rührend Naives, vor allem die musikalische Ausführung, für welche Stephanos Vassiliades verantwortlich war, trug eindeutig den Stempel der Echtheit, während Tanz und Bewegung etwas maniriert wirkten. Trotzdem kam ein einheitliches Bild zustande und diese historische Premiere als Einleitung zu einem Abend experimentellen Musiktheaters hinterließ einen bleibenden Eindruck bei dem an diesem Abend ganz besonders zahlreichen Publikum und rückte die folgenden Werke in eine neue Perspektive.

Bei den jungen griechischen Komponisten steht zur Zeit das Musiktheater hoch im Kurs. Diesen Eindruck gewann man während dieser „Hellenischen Woche zeitgenössischer Musik“.

Nikos Marnangakis (Jahrgang 1929) hatte für das Musikfest ein Werk für Flöten, Sopran und Tonband geschrieben. Er nannte es „Parastasis“ und widmete es S. Ga-dedi, einer Künstlerin, die bereits während der 3. Hellenischen Woche seine Solistin gewesen war und die in dem neuen Werk eine ganze Reihe europäischer und exotischer Flöten spielen, gewisse theatralische Gesten vollziehen und außerdem singen mußte. In die elektronische Partitur, die der Komposition zugrunde lag, hatte Mamangakis verschiedene Dokumentarstreifen eingearbeitet, sie jedoch so weit verfremdet, daß sich daraus unverständliche, dadurch allerdings um so suggestivere Andeutungen ergaben. Reminiszenzen wurden wachgerufen und das Publikum zeigte sich für die wirksame Szene äußerst empfänglich.

Deutlicher lag der Fall im „Protest II“ des 1935 geborenen Theodore Antoniou, der den Raum wirkungsvoll in seine Musik einbezog, so daß man vorübergehend von allen Seiten durch Stimmen bestürmt und bedrängt wurde. Die anfänglich eher diskreten Klänge des Orchesters und die aggressiven Geräusche des Tonbandes verschmolzen mit der Zeit zu einer wuchtigen Klangmasse, Strobo-Lichter beleuchteten die Szene, aus dem Saal stürzte plötzlich eine Gruppe junger Leute, Angehörige der Nicoloudi-Tanzgruppe, auf die Bühne, die unter dem Tosen ihrer stampfenden Füße und ihrer trommelnden Hände erbebte, das Blut geriet in Wallung, man wohnte einer spontanen Kundgebung bei, die den Künstlern, dem Inhalt und dem Komponisten galt.

Nicht alle Komponisten behandelten derart aktuelle Themen. So ließ sich Michael Adamis (geb. 1929) durch die Schöpfungsgeschichte anregen. Für die erste Version seiner „Genesis“ hatte er elektronische und konkrete Klänge zusammen mit einem Lamento aus Epirus verarbeitet und dem Tonband einen Chor und einen Sprecher zur Seite gestellt, um durch diese Anhäufung von multi-media eine gewisse Multiplizität herzustellen. Dieses gesamte musikalische Geschehen wurde dann auf Band aufgenommen und durch einen neu hinzugefügten Chor gewann das Werk eine weitere Dimension. J. Nicoloudi erfand für diese Musik eine eindrucksvolle Choreographie, durch welche die verschiedenen Stadien und Aspekte des menschlichen Lebens dargestellt wurden. Visuelles und Akustisches ergänzten einander aufs vortrefflichste, Musik und Theater fanden sich zu einem einheitlichen Kunstwerk zusammen.

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