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Das beziehungsreiche Sterben des alten Hoffmann

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Alter Hoffmann: (Sitzt in einem Zahnarztsessel. Er trägt die Uniform eines Obersten aus der k.u.k. Armee. Der Uniformrock ist sehr weit und etwas unordentlich verschlossen. Unter dem Uniformrock blinken Metallplatten hervor. Auf dem Kopf trägt er einen Helm mit einem Federbusch. Zum Helm, unter die Ärmel und unter die Hosenbeine führen Kabel, Schläuche und Drähte, die mit den Apparaten neben der Kabine verbunden sind. Er hat die Arme hochgehoben, als hätte er ein Gewehr in der Hand und würde auf jemanden zielen. An der Brust pendelt ein Monokel an einer dünnen Goldkette. Er läßt die Hände sinken.) Das Einglas. Mohaupt. Das Einglas. (Greift wirr über seinen Uniformrock.)

Mohaupt: Sehr wohl, Eure gräflichen Gnaden. Das Einglas. (Setzt ihm das Monokel ein. Seine Bewegungen sind sehr umständlich. Einer von Mo- haupts Stöcken fällt um. Mohaupt hebt ihn ächzend vom Boden auf.)

Kolschitzki: (Sitzt stumm in seinem Ohrensessel. Er bewegt nur hin und wieder die Hand, ein Bein oder einen Arm. Hin und wieder hebt er auch ganz leicht den Kopf, läßt ihn aber gleich wieder an die B rust sinken. Man merkt, daß er den Vorgängen folgen kann.)

Alter Hoffmann: Jaaaaa. Hahahaha. Jetzt sehe ich klaar. Scharf. Ganz scharf. Scharf wie ein Scharfschütze. Jaaaa. Warte nur, Schütze. Jaaa. Scharf. Scharf durch das Einglas. Scharf wie der Feldmarschall. Mit wehendem Helmbusch. Vor den Pferden in der Ebene. Sommer achtundneunzig. Manöver. Wagner. Manöver. In Reih und Glied, die Schwadronen. In Reih und Glied. Hoch zu Pferd. Im Rock des Kaisers, Wagner.

Mohaupt: Mohaupt.

Alter Hoffmann: Abarabarabarab- aaaaaa. Abararabarabarabaaaaaa. Hi- hihihfhihihi. Huuüü. Auf, heio.barara.

Mohaupt: (Stürzt, so schnell er kann zu einem Gerät, dreht daran.)

Hoffmann: (Von draußen.) Sind seine gräflichen Gnaden bereit zum Fest, Mohaupt?

Alter Hoffmann: (Schaut erstaunt um sich, als wäre er eben erwacht.) Warte nur balde.

Mohaupt: Bald, Graf. Bald.

Alter Hoffmann: Bald kommt der Feind. Scharfschütze, das Gewehr im Anschlag. Das Gewehr im Anschlag. Und aufgepaßt. Das Auge zusammengekniffen. Den Feind auf dem Korn. (Hebt wieder die Arme, an denen verschiedene Drähte herabhängen, als würde er auf die Eingangstüre zielen.) Gegen wen heute, Mohaupt?

Mohaupt: Der Kontrollor.

Hoffmann: (Reißt im selben Moment, in dem Mohaupt spricht, die Türe auf und kommt in der gleichen Pose herein wie zu Beginn des Aktes.) Hojotaheijahohü! (Salutiert mit der rechten Hand, mit der linken schwingt er die Reitpeitsche und holt dabei so weit aus, daß er Kolschitzki unabsichtlich einen so kräftigen Stoß versetzt, daß er zu Boden fällt und heulend liegen bleibt.)

Älter Hoffinann: (Während Hoffmann eintritt und bevor Kolschitzki zu Boden fallt) Den Feind im Korn. Und Schuß. Hihihihohaha. Jaaaaaaa. Getroffen. Hihihiha. (Während des Wortes „Schuß“ fallt tatsächlich ein Schuß. Man weiß nicht, woher der Knall koifimt.)

Kolschitzki: (Nach dem Knall wälzt er sich wie wild am Boden. Er glaubt, er ist getroffen.) a. a. (Möchte mit seinem ver- schwollenen Mund sprechen. Es gelingt ihm nicht.) Aaaaaaa. Aaaaaaa.

Alter Hoffmann: Oho. Schlecht getroffen. Schlecht getroffen. Den Gnadenschuß. Dem Feind den Gnadenschuß. Ritterlichkeit auf dem

Schlachtfeld. Soldatenehre. Der

Feldmarschall mit dem wehendem Helmbusch. Soldatenehre. (Er hebt wieder die Hände. Das Monokel fällt ihm wieder vom Auge.)

Mohaupt: (Schrickt beim Schuß zusammen. Er schaut betroffen um sich. Weiß nicht, woher der Schuß gekommen ist. Fürchtet, daß Kolschitzki tatsächlich getroffen ist.)

Hoffinann: (Stutzt kurz. Man merkt, daß der Schuß ihn irritiert hat Doch er will ihn nicht zur Kenntnis nehmen.) Ich sage Euch, verehrter gräflicher Vater, ich sage Euch, das war ein Ritt, ein Ritt sage ich Euch, auf Tempestas, dem feurigen Wallach. Hin über die abenddampfende Ebene, hin über die fruchtbaren Felder, verehrter Herr Vater. Feurig schnaubend im Galopp. Ohne Rast über den klaren Bach. Ohne Rast.

Alter Hoffmann: Das Einglas, Wagner. Das Einglas.

Mohaupt: (Wollte sich Kolschitzki nähern, macht aber umständlich wieder kehrt und setzt dem alten Hoffmann das Monokel ein.) Sehr wohl, Herr Graf, das Einglas.

Kolschitzki: (Wälzt sich noch immer am Boden.) Aaaaaa. Aaaaaa. (Beginnt sehr mühsam zu sprechen. Es klingt, als würde er mit vollem Mund sprechen.) Dieser. Dieser. Dieser Traum. Dieser Traum ohne Ende. Ohne Ende. (Er beginnt sich in den Arm zu kneifen, in die Hüften, in die Beine, schließlich in den Mund. Schreit auf.) Aaaaaaa! Aaaąa!

Hoffmann: Und nun das Fest. Der Ausritt vor dem Fest.

Kolschitzki: Ohne Ende.

Mohaupt: (Geht mühsam zu Kolschitzki, beugt sich über ihn, betrachtet ihn eine Weile. Dann schaut er zu Hoffmann, der sich, .über Kolschitzki sportlich darüberspringend, an einen der gedeckten kleinen Tische begibt und hinsetzt.) Kein Einschuß.

Frau Hoffmann: (Stürzt zur Türe herein.) Ein Schuß, hast du gehört, ein Schuß, Hoffinann. (Bemerkt den sich windend und wimmernd daliegenden Kolschitzki. Sie legt die Hände über das Gesicht.) Um Gottes Willen, wer hat auf ihn geschossen?

• Hoffmann: (Fährt von seinem Tischchen auf und brüllt.) Text! Text! Was untersteht Sie sich. Hat Sie auf das Fest vergessen. Wie Sie aussieht. Richte Sie sich zurecht. So meinem ehrwürdigen Herrn Vater unter die Augen. So unter die Augen. Ihm unter die Augen.

Alter Hoffmann: Hihihihi. Das gerechte Auge. Nur Manöver. Nur Manöver. Sommer achtundneunzig. Ve- netien. Manöver. Die Uhr auf der flachen Hand. Mit wehendem Helmbusch.

Frau Hoffmann: (Schaut abwechselnd auf Hoffmann, Mohaupt und Kolschitzki und richtet den Schleier ihres Hutes zurecht.)

Kolschitzki: Wer hat mich erschossen? Wer hat mich erschossen?

Frau Hoffmann: (Zu Hoffmann, der noch immer hinter seinem Tischchen steht.) Aber der Sch…

Hoffmann: (Brüllt noch lauter.) Text! Knicks!

Mohaupt: (Zu Kolschitzki.) Kein Einschuß. Keine Gefahr.

Alter Hofftnann: Nur Manöver. Sommer achtundneunzig.

Hoffmann: Jawohl, Papa, Sommer achtundneunzig. Manöver in Vene- tien. Wir wissen, Papa. (Zu Frau Hoffmann, die noch immer unschlüssig dasteht) Knicks. Text.

Frau Hoffmann: (Macht zum alten Hofftnann hin einen Knicks.) Aber… (Wendet sich wieder Hoffmann zu.)

Hofftnann: Was aber! Text.

Kolschitzki: (Wiederholt die Worte Hoffmanns imverständig.) Was aber! Text.

Mohaupt: Wie?

Frau Hoffmann: (Denkt nach.) Gnädigster, gräflicher Sphwiegerpa- pa..jį-

Kolschitzki: Was ist geschehen? Wer hat mich. Ein Traum. Ohne Ende. Erwachen.

Mohaupt: (Steht noch immer vor Kolschitzki.) Sie sind schon wach. Erwacht zum Fest. Erwacht zum neuen Leben. Zum Leben in der Ordnung. Von der Opposition zur Konjunktion. Erwacht zur Ordnung der Gestirne. Zur ewigen Ordnung.

Kolschitzki: Zur ewigen Ordnung. Erwacht. Erwacht Was aber. Text. (Die letzten Worte betont er so, wie sie Hofftnann betont hat.)

Mohaupt: Kolschitzkis Erwachen. (Macht eine weitausholende Gebärde.)

Alter Hoffmann: In Ordnung angetreten. Die Schwadrone. Dreihundertneunundneunzig Pferde. Und der Feldmarschall. Mit wehendem Einglas. Helmbusch. Und das vierhundertste. Scheuend. Den Reiter abgeworfen. Auf den Boden. Hihihi. Immer wieder auf den Boden.

Kolschitzki: Den Reiter abgeworfen. Immer wieder auf den Boden. (Wälzt sich wieder.)

Hoffmann: (Hat sich wieder an sein Tischchen gesetzt) An den Tisch. Frau Hoffmann: (Geht unsicher an das neben Hoffmanns Tischchen stehende Gedeck.)

Kolschitzki: An den Tisch. (Versucht umständlich aufzustehen.)

Alter Hofftnann: Nur Manöver. Der wilde Wallach. Der vierhundertste. Scheuend. Immer scheuend. .Junger Graf, sprach da der Feldmarschall. Und er blickte durch das Einglas auf mich. (Imitiert die Bewegungen, über die er berichtet.) .Junger Graf, sagte er, .will er den Wallach zur Raison bringen?* Und ich … (Macht eine Pause und schaut erwartungsvoll nik- kend um sich. Zieht an den Drähten. Dann schüttelt er unwillig den Kopf.) Immer an der Koppel. Immer an der Koppel. Den Wallach von der Koppel.

Kolschitzki: (Ist es gelungen sich zu erheben.) An den Tisch. (Schwankt unsicher auf das dritte Tischchen zu.)

Mohaupt: (Zum alten Hofftnann, der an seinen Drähten zieht.) Nicht, Eure gräflichen Gnaden. Nicht. Die Menage.

Kolschitzki: (Hat sich an das Tischchen gesetzt.) Die Menage.

Hofftnann: (Zu Frau Hoffmann.) Text Läuten. Genoveva läuten. Aufträgen. Das Fest. Was ist mit dem Fest. Text. Verdammt.

Frau Hofftnann: Gnädigster Herr Schwiegerpapa, seht hier die Euch liebende Familie in trauter Runde versammelt. (Sie nimmt eine Tischglocke und klingelt.)

Hoffmann: (Schaut ungeduldig mit den Fingern trommelnd zur Tür.)

Kolschitzki: (Auch er schaut zur Tür.)

Mohaupt: (Geht langsam an den vierten Tisch, lehnt seine beiden Stöcke an die Wand und setzt sich stöhnend hin.)

Alter Hofftnann: (Beim Ertönen der Glocke.) Das Signal. (Außer dem alten Hoffmann schauen alle gespannt zur Tür.) Alle blicken gespannt auf mich. Gespannt Gespannt wie die Gewehrhähne vor dem Schuß. Und ebenso der Feldmarschall. .Junger Graf hatte er gesagt. (Schaut an sich herunter, betrachtet seine Drähte.) Hihihihi. Junger Graf. (Nickt zu Hoffmann hinüber, der ihn nicht sieht, weil er auf die Tür starrt und mit den Fingern trommelt)

Kolschitzki: (Beginnt ebenfalls mit den Fingern zu trommeln.) Junger Graf.

Hoffmann: (Zu Frau Hoffmann.) Läuten. Immer weiterläuten. Unerhört. Verdammte Sau. Verschwört sich wieder gegen uns. Hetzt den Franz auf. (Greift nach der Reitpeitsche, die er neben sich auf den Boden gelegt hat.) Aber ich werde sie schon noch zur Raison bringen. Verlaß dich drauf.

Kolschitzki: Verlaß dich drauf. (Spricht immer gleichbleibend schwer.)

Mohaupt: (Wendet sich, jedesmal wenn Kolschitzki spricht, diesem aufmerksam, mit fast zufriedener Miene zu und beobachtet ihn aufmerksam.)

, Alter Hoffmann: Ein bißchen zur 1 Raison bringen. J. Ein bißchen zur Raison bringen. Soooooooo hat er gesagt, der Feldmarschall mit dem wehenden Helmbusch. Soooo hat er gesagt. Jaaaaa. Und alle blickten gespannt Gespannt auf mich. Und ich.

Frau Hoffmann: (Als der alte Hoffmann zu sprechen beginnt, hört sie auf zu klingeln.)

Hofftnann: Läuten. (Sie klingelt weiter.)

Kolschitzki: Soooooooo.

Jaa.

Alter Hofftnann: (Fühlt sich durch die Handlung im Saal gestört. In seinen Monologen unterbrochen. Er überbrückt die Vorgänge um ihn, soweit sie ihn am Sprechen stören, durch unartikulierte Geräusche, Lachen, wirre Bewegungen, aufmerksam feixendes Schauen durch das Monokel. Außerdem klingen von Zeit zu Zeit synchron mit gewissen Bewegungen des alten Hoffmann und synchron mit verschiedenen Lichtsignalen immer wieder einige Takte Marschmusik auf.) Und ich. Hin zum Wallach. Hinauf auf ihn. Ohne Sattel. Ooooohne Sattel. Ganz oooohne Sattel.

Kolschitzki: Ooooohne Wallach. Oooooohne Sattel..

Hoffmann: Stören Sie nicht das Fest. Hören Sie nicht, daß mein gräflicher Herr Vater zu erzählen beliebt. Lauschen Sie. Lauschen Sie. Man kann nur lernen. Aus der Geschichte lernen. Wir alle haben noch viel zu lernen. Viel. Was, Mohaupt?

Mohaupt: Sehr wohl, Graf. Vor allem unser geschätzter Gast. Vor allem er, dem sich nun eine neue, schöne geordnete Welt eröffnet hat. Was, Kolschitzki?

Kolschitzki: Oooooohne Sattel.

Alter Hoffmann: Ganz recht. Ganz recht. Oooohne Sattel. Und fest an die Zügel. Und die Schenkel fest in die Lenden gepreßt. Und wir floooooooo- gen. Flooogen wie ein Geschoß. Hin über die Ebene. Und alle blickten gespannt. Kein Sturz.

Alter Hoffmann: Jaaaaa, das war Tempestas. Ohne Sturz über die Bäche. Ohne Sturz.

Hoffmann: (Während der alte Hoffmann spricht, springt er auf und stürzt zur Tür, reißt sie auf und brüllt hinaus.) Hört niemand, daß die Gräfin läutet! Sind alle taub, zum Teufel! Verdammtes Gesindel! Verschwört sich wieder! Verschwört sich wieder! Proletenpack! (Schließt die Tür wieder im gleichen Augenblick, als der alte Hoffmann endet. Er stellt sich wieder in der gleichen Pose wie beim Betreten des Saales hin.) Hjotaheijahohü, ich sage Euch, verehrter gräflicher Herr Vater, ich sage Euch, das war ein Ritt, ein Ritt, sage ich Euch, auf Tempestas, dem feurigen Wallach. (Dreht sich abrupt wieder zur Tür.) Wo bleibt Genoveva?

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