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Das Lied, das zum Chor wird

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Man fährt mit der Absicht, Spanien einmal anders zu erleben, auf Urlaub. Ziel: die kantabrische Küste. Jegliches Interesse an politischen und wirtschaftlichen Problemen wird zugunsten geplanter Besichtigungen von Kunststätten einfach abgeschaltet. Und dann betritt man baskischen Boden — und alle Vorsätze sind zunichte. Man wird, trotz aller Grundsätze, die da sind: sprich im Ausland nie über Politik oder Religion, unweigerlich in eine Diskussion verwickelt, die schließlich zur Politik führt.

Erste Sorge des Basken: „Was denkt Europa über die ETA?“ Es wird ganz selbstverständlich angenommen, daß man nicht nur weiß, was die ETA ist, sondern auch, was Europa darüber denkt. Am besten zieht man sich da noch mit einer Gegenfrage aus der Affäre: „Was denken Sie selbst über die ETA?“ Ganz entgegen der Vermutung, daß sich jeder Baske davor hüten müsse, von der ETA zu sprechen, bekommt man auf diese Frage sogar Antwort. Man bekomt eine ganz erstaunliche Antwort. Nachhilfe in Geschichte:

„Schon seit einem Jahrtausend hatten wir Basken unsere Fueros, unsere Sonderrechte. Die Könige von Navarra wurden von uns stets erst dann als unsere Herrscher anerkannt, wenn sie in Gegenwart unserer Ständevertreter unter der Eiche von Guernica schworen, unsere Fueros unangetastet zu lassen. Jahrhundertelang wurde das so gehalten, die Dokumente sind alle vorhanden. Seit dem Bürgerkrieg hat niemand den Schwur geleistet, also müßten wir doch eigentlich auch niemanden anerkennen, das ist doch klar, nicht? Aber vielleicht gibt es doch eine Lösung. Wir sandten einen Setzling der Eiche nach Madrid — er wurde angenommen und im Palastgarten feierlich eingepflanzt! Aber nicht alle bemühen sich um die Lösung mit den richtigen Mitteln. Jene Hitzköpfe, die Bomben werfen und anderen gefährlichen Unsinn aushecken, schaden unserer Sache nur. Sie schaden aber auch dem Ansehen Spaniens in Europa!“

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Wir sitzen in einem netten, gemütlichen Lokal und plaudern mit un-

serem Gastgeber, einem Industriellen aus Bilbao. Am Nebentisch verzehrt ein einfacher Baske „Bonito a la plancha“ (Thunfisch natur), die unvermeidliche „boina“ (Baskenmütze) auf dem Kopf. Zufällig werden wir gleichzeitig mit dem Essen fertig und bestellen den üblichen „Cortado“, einen starken, schwarzen Kaffee. Mit einigen sehr höflichen Worten knüpft der Mann am Nachbartisch mit uns ein Gespräch an. Er möchte gerne wissen, woher wir kommen. Die Stadt Durango wird kaum von Ausländern besucht und er freut sich sehr, zu hören, daß wir Wiener sind. „Viena, los vaisęs, el Danübio … que hermose!“ (Wien, Walzer, Donau — wie schön!) Nach einer netten kleinen Plauderei verabschieden wir uns voneinander. Da wir in anderen Gegenden Spaniens stets einer sehr scharfen Trennung von arm und reich begegnet sind, stellen wir unserem Gastgeber eine diesbezügliche Frage. Offensichtlich war der Mann, mit dem wir uns unterhalten haben, ein sehr einfacher und bestimmt nicht wohlhabender Mensch.

Der Industrielle gibt uiis eine ver-

blüffende Erklärung: „Wir Basken haben das Adelsproblem auf unsere Weise gelöst. Schon seit Jahrhunderten ist jeder, der auf baskischer Erde von eines baskischen Mutter geboren wurde, von Geburts wegen adelig. Er hat das Recht, sich „von“ zu nennen. Natürlich gibt es dann Abstufungen nach oben, aber grundsätzlich ist der Baske eben blau- blütig.“

Was dem Urlauber in Spanien auffällt, ist, daß man nie einen betrunkenen Spanier sieht. Torkelt jemand nächtens angeheitert durch die Straßen, so ist es ein Urlauber aus dem Norden. Ein Spanier hat mir einmal gesagt, er wäre einfach zu stölz, sich vom Alkohol „den Willen nehmen“ zu lassen. Die Basken sind da anders.

Sie sind nicht nur einem Glas nicht abgeneigt, sie leeren recht oft auch ein Glas zuviel und bis zur Neige. In Vizacya und Guipüzcoa wächst kein schlechter Tropfen. „Wir lieben unsere Erde und alles, was sie hervorbringt“ ist ein beliebter Entschuldigungsgrund. Wenn dann ein Liedchen gesungen wird, beweist sich wieder einmal der baskische Gemeinschaftssinn. Die Lieder der Basken sind Chorgesänge, es gibt keine Solostimmen, wie sie etwa der Flamenco hat.

Die Basken kennen aber nicht nur Gesang, ein Gläschen und eine freundschaftliche Diskussion. Sie sind auch außerordentlich fleißige

Menschen. Die Baskenprovinzen und die Region der Katalanen stellen das industrielle Zwillingsherz des Landes dar. Neben dem pariserisch anmutenden Luxus von San Sebastian gibt es auch das tagsüber vom Stampfen und Hämmern der Schiffswerften vibrierende und nachts von den Flammen der Hochöfen erleuchtete Bilbao. Eine Hölle der Abgase, Industriedämpfe und der Hitze. Die Sonne, die wenige Kilometer von Bilbao entfernt strahlend scheint, ist in der Stadt nicht zu sehen. Es herrscht ewig diffuses, trübes Licht. An jedem zweiten Haustor ist das Schild eines Lungenfacharztes angebracht — und alle Ärzte sind überlastet …

Alarmrufe von Fachleuten werden,

wie auch anderswo, nicht gehört. Nur geht es hier schon so weit, daß bei bestimmten Windverhältnissen an einem strahlend schönen Sonnentag die Sicht auf manchen Straßen gleich Null ist! Die Autofahrer werden über den lokalen Sender darauf hingewiesen, schalten Nebelleuchten ein, fahren langsam, schließen die Fenster oder vermeiden die Strecke überhaupt. Diese Straßen sind von Wohnhäusern gesäumt, am Gehsteig spielen Kinder …

Das Baskenland hat viele Gesichter, doch wer nimmt sich schon Zeit und Mühe, einige’ davon kennenzulernen?

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