6810823-1972_33_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Benediktiner...

Werbung
Werbung
Werbung

Nein, der Sommer scheint keine gute Jahreszeit für Österreich zu sein. Im Sommer 1914 begann der Krieg, im Juli 1934 wurde Dollfuß ermordet, jetzt in diesem Sommer entriß uns der Tod gleich drei berühmte Männer.

Zuerst starb Coudenhove-Kalergi, dann Altbundeskanzler Gorbach, und am Sonntag, dem 6. August, verließ uns der berühmte Historiker Hugo Hantsch für immer. Er war 1894 in Böhmen geboren worden, er kam aus einem Land, dessen Bewohner durch ihren Bienenfleiß bekannt sind. So bereitete ihm das bene-diktinische „Labora“ niemals Schwierigkeiten. Aber auch die andere Komponente des benedik-tinischen Leitsatzes „Ora“ war ein Leitsatz, der sein ganzes Leben erfüllte. Dieser so berühmte Historiker war sein Leben lang nicht nur ein sehr gläubiger Priester und Mönch, sondern auch ein tief frommer Mensch. Mit tiefer Betrübnis beobachtete er in den letzten Jahren seines Lebens so manche Entwicklung in der Kirche. Kopfschüttelnd sah er so manchen Theologen Irrwege gehen. Nach seiner Matura war er, noch vor dem ersten Weltkrieg, in das Benediktinerstift Melk eingetreten, eines der schönsten und strahlendsten Klosterschlösser Österreichs. Viele Stifte Österreichs bezogen ihren Nachwuchs vor dem ersten Weltkrieg ausschließlich aus den böhmischen Ländern. So ist es nicht zu verwundern gewesen, daß Hantsch Mitglied eines österreichischen Klosters wurde. Aber zu Melk hatte er noch eine doppelte Beziehung: Ein Onkel von ihm war Abt dieses Klosters. Und die Symbiose, die dieses Kloster ausdrückte — Größe der Kirche und

Größe Österreichs — entsprach seinem inneren Denken. Nach seinem Theologiesttudium studierte er Geschichte und absolvierte das weltberühmte Institut für Geschichtsforschung. Der Benediktinerorden hat im Laufe der Jahrhunderte viele berühmte Historiker hervorgebracht. Hugo Hantsch reiht sich würdig in diese große Zahl erlauchter Geister. Der Historiker des Josephinismus, Prof. Maaß, sagte einmal, jeder

Geschichtsprofessor müßte in seinem Leben eigentlich drei große Werke verfassen. Hugo Hantsch hat dieses Plansoll weit überschritten. 1925 erschien sein Werk über den deutschen Bauernkrieg, 1926 sein Werk über den Erbauer von Melk, Jakob Prandtauer, das einzige Buch, das es bisher über diesen berühmten Künstler gibt. Es folgte eine große Abhandlung über den Reichsvizekanzler unter Joseph I. und Karl VI., den Grafen Friedrich Karl von Schönborn, vielleicht eines der besten Werke, die Hantsch verfaßt hat. 1937, Hantsch war inzwischen Professor an der Universität Graz geworden, erschien der 1. Band seiner großen Geschichte Österreichs. Der 2. Band erst 1950. Dazwischen lag das 1000jährige Reich, das 1938 Hantsch sofort nach Dachau schickte. Nach einjähriger Haft wurde er Pfarrer in Ravelsbach, einer kleinen Prandtauerkirche, die Melk gehörte und in der Nähe von Maissau in Niederösterreich liegt. Nach der Befreiung Österreichs kam seine große Stunde, er wurde Ordinarius an der Universität Wien, d. h. Nachfolger Prof. Heinrich v. Srbiks. Obwohl beide Gelehrte in verschiedenen politischen Lagern standen, sprach Hantsch immer nur mit größter Hochachtung von Srbik. Ja, sie verkehrten sogar freundschaftlich miteinander.. 1950 erschien die kleine, aber bedeutsame Untersuchung über die Nationalitätenfrage im alten Österreich. 1963 das große, zweibändige Werk über Berchtold.

Hunderte Studenten hat Hantsch im Laufe seiner Lehrtätigkeit ausgebildet. Mit seinem Bienenfleiß las er fast alle Dissertationen. Auf unendlich vielen Kongressen hielt er Vorträge, unendlich viele Sammelwerke enthalten Beiträge aus seiner Feder. Natürlich war er Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften, fast ebenso natürlich war es, daß er Vorsitzender der Kommission für Neue Geschichte Österreichs wurde. Fast wäre er auch einmal Abt von Melk geworden, doch diese Berufung lehnte er ab. Er wollte sein einfaches benediktinisches Gelehrtenleben bis zu Ende leben. „Herr, gib jedem seinen Tod“, sagt Rilke. Hugo Hantsch starb am Sonntag, dem 6. August, da das Evangelium von der Verklärung Christi spricht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung