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Der Dom als Tatort

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Da kommen sie also, es ist die Franziskusandacht in der Wiener Stephanskirche, nicht am 4. Oktober, sondern in vorweihnachtlicher Schau am 12. Dezember einberufen, ohne ihre Tiere kommen sie und zum Teil mit ihnen, da wo's, im Sakristeibereich, erlaubt ist. Von der Seelenlosigkeit der ihnen als immerwährende Kinder Anvertrauten halten sie nichts, aus eigener Anschauung, denn nicht nur Schutzbefohlene sind's, auch Freunde und — in dieser Reihenfolge zwar an sie gemahnend, doch der Polizei in keiner Weise ähnlich*- Helfer.

Eine ältere Dame hat eben einen Vogelkäfig aus dicker Leinwand befreit, das Verbot am Riesentor wörtlich nehmend, denn da ist lediglich ein Hund aufgezeichnet, dem man den frommen Sprech-blasentext „Ich darf hier nicht hinein“ in den Mund gelegt hat. Ihre zwei Wellensittiche sollen einmal das Innere des prächtigen Doms sehen, meint sie wohl, und sie beäugen es staunend, blau und grün strahlt ihr Gefieder ins Halbdunkel des Seitenschiffes, und nun findet das Gehäuse am Rand einer Holzbank Platz.

Langsam gewöhnen sich die beiden Gesellen an das Geschiebe rundherum, nicht mehr so glatt wie anfangs liegen ihre Federn an, und der Blaue wagt sogar ein leises Tschilp. Dann springt er an die Gitterstäbe, hängt da eine kleine Weüe, und weiß Gott, wie er's zuwegebringt, doch im Haus des Herrn ist Schwerkraftnegierendes offenbar möglich, seine kleine Hervorbringung, die gerade wieder einmal fällig ist, landet nicht senkrecht im sauber gestreuten Sand des Käfigbodens, sondern außerhalb desselben, wo sie Sekundenbruchteile später, kaum merklich, den äußersten Rand des Bankornaments ziert.

Die Gebieterin der Vögel ist in ein Gebet vertieft, sie, deren kundige Hand dem aufgrund seiner trockenen Konsistenz problemlosen - unsere Spatzen haben diesbezüglich anderes aufzuweisen — Häufchen spielend zu Leibe rük-ken könnte, fleht den Schöpfer vielleicht gerade um ein langes, gesundes Leben ihrer und aller Tiere und Lebewesen an.

Da naht ein Mann, seine Haltung und eine Armbinde verraten es, daß er hierorts das Auge Gottes zu vertreten nicht nur beauftragt, sondern auch willens ist, und tatsächlich hat er die Missetat erspäht, er hat desgleichen um diese Stunde geradezu erwartet und befürchtet, und jetzt und hier und eingedenk seines Amtes obwaltet er desselben, die Andacht ist die eine Seite, und er und der Skandal die andere. Die symbolische Riesentor-Verbotstafel großzügiger auslegend als die Vo-geleignerin, ringt er mit sich, ob er der gelben oder der roten Karte den Vorzug geben soll.

Ein leichter Ausschlag zur Nachsicht (ein Engel brachte ihm das vor dem Dom brennende Kerzenkreuz für die Tiere dieser Welt blitzschnell in Erinnerung) - fahrig kämpft er sich bis an den Ort des Geschehens heran, ebenso fahrig schreitet er nicht an Platzverweis, doch immerhin an des Übels Beseitigung.

Was - der Dichte des Produkts war schon die Rede — ein Wissender in Sekundenschnelle ohne Zurücklassung einer Spur unsichtbar werden lassen kann: in den vom Zwiespalt zwischen Amtskappel und Engelsmilde nervös gewordenen Fingern des Aufsehers wird's zur breiigen, Hand und Holz weit über das Maß seiner ursprünglichen Dimension verunreinigenden Masse.

Nur ein — oh, it's a wonder -blitzartig gezücktes Papiertaschentuch der aus dem Zwiegespräch mit dem Allmächtigen und Allgegenwärtigen, möglicherweise auch mit Franziskus, Emporgeschreckten wendet den schon durch Gesichtsrötung sichtbar gewordenen Zorn des Inspizierorgans von Delinquenten und Komplizen ab.

Und nach einem wahrscheinlich nur scheinbar mahnenden Wort an den Missetäter wendet sie sich wieder ihrer stillen Oratio zu, diesmal lächelnd, und ihr Lächeln, die Feststellung ist bar jeglichen Sakrilegs, ist das einer Heiligen. Und da Heilige bekanntlich Humor haben und ihr Gesprächspartner in diesem Augenblick zweifellos der von Assisi ist, muß mit einer gewissen Sicherheit angenommen werden, daß die Betende für die nächstjährige Franziskusandacht nichts Böses, nein, nur den Besuch eines Elefanten herabfleht aufs Haupt des nun in den Reihen der Andächtigen verschwindenden Amtsträgers, und wenn es geht, im Haus des Herrn ist alles möglich, eines fliegenden.

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