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Der Geist der Erneuerung

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Wir feiern heuer das Pfingstfest mitten in einem Wahlkampf, den führende Politiker selbst als den häßlichsten aller Wahlkämpfe der Zweiten Republik bezeichnet haben. Viele beten in diesen Tagen: „Komm, Heiliger Geist!“, und möglichst viele, so möchte ich hoffen, glauben auch die Verheißung: „Du wirst das Angesicht der Erde erneuern!“

Der Heilige Geist ist nach christlicher Uberzeugung in seiner Wirksamkeit nicht auf den Raum der Kirche beschränkt. Er soll nicht nur das Antlitz der Kirche, sondern auch das Antlitz der Erde erneuern. So können wir in diesen Tagen auch die Bitte und die Hoffnung aussprechen: Du wirst das Antlitz Österreichs erneuern.

Österreich hat, und das zeigt sich in diesen Tagen, eine geistige Erneuerung dringend nötig.

Aber der Geist Gottes ist machtlos, wenn sich Menschen — die Glaubenden und Nichtglauben-den—seinem Wirken nicht öffnen. Denn Gottes Geist will durch Menschen das Antlitz Österreichs neu machen: auch und gerade durch die Politiker, die nach Meinung vieler gegenwärtig das Antlitz Österreichs verunstalten.

Wir sollen an diesem Pfingst-fest für uns alle, in besonderer Weise aber für die Politiker und für alle, die sonst in unserem Land Verantwortung tragen, die Gaben des Geistes erbitten. Für dieses Gebet gibt es ein für Juden und Christen gemeinsames Fundament: Einen Text des Propheten Jesaja, der das Kommen des messianischen Reiches ankündigt, der zugleich die Qualitäten des Menschen schildert, der mithelfen kann, daß sich die Welt erneuert:

„Der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen auf und entscheidet für die Armen des Landes“ (Jesaja 11,2-4).

Jesaja schildert in diesem Text nicht den frommen Juden oder Christen, der zurückgezogen lebt, sondern den kommenden Messias, der auch eine politische Gestalt ist.

Jene, die politisch — im weitesten Sinn des Wortes - tätig sind, brauchen in besonderer Weise diese Gaben des Geistes: die Gabe der Weisheit und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Erkenntnis und der Gottesfurcht.

Wir erleben in diesen Wochen in erschütternder Weise den Verlust des Augenmaßes, das Nicht-Erkennen der Proportionen. Wir brauchen die Gabe des Verstandes und der Einsicht.

Verstand und Einsicht sind mehr als Intellekt. „Der Mensch sieht nur mit dem Herzen gut“ (Saint-Exupery). Es genügt nicht, wenn Politiker zu Kindern und alten Leuten herzlich sind, aber den politischen Gegner herzlos bekämpfen. Wenn im politischen und öffentlichen Leben das Herz ausfällt, wird unser Land zu einem Eiskasten, in dem die Menschen frieren und erfrieren.

Wichtig ist auch die Gabe der Weisheit; jene Weisheit, die gewachsen ist im tätigen Umgang mit Menschen und Dingen, die aus den persönlichen und geschichtlichen Erfahrungen lernt, dadurch Fehltritte vermeidet und das rechte Urteil zu treffen vermag; die Gabe der Weisheit, die die Sinnzusammenhänge durchschaut, die der Intellekt allein nicht erkennt; jene Weisheit, die die Wissenschaften mit all ihren Erkenntnissen nicht zu ersetzen vermag. Wo gibt es diese Weisheit, die aus der Erfahrung lernt, die auch die fernere Zukunft im Blick hat, im alltäglichen und politischen Leben in Österreich?

Wir leben in einer differenzierten Gesellschaft. Keiner kann alles überblicken. Wir brauchen die Gabe des Rates: der Menschen, die beraten können und sich von guten Ratgebern beraten lassen.

Wer sind heute die Ratgeber in Österreich? Sind sie selbst vom Heiligen Geist beraten? Und wo sind jene, die sich von den rechten Ratgebern beraten lassen? „Selig der Mensch, der nicht auf den Rat der Frevler hört.., der nicht im Kreis der Spötter sitzt“ (Psalm 1,1).

An der Gabe der Stärke scheint es gegenwärtig nicht zu fehlen. Viele machen sich stark und möchten den anderen ihre Stärke fühlen lassen. Aber ist das die Stärke, die der Geist Gottes verleiht? Diese Stärke richtet die Hilflosen auf und widersteht den Gewalttätigen, die Unrecht tun.

Gesellschaftlich relevant sind auch die Gaben der Erkenntnis und der Gottesfurcht. „Erkenntnis“ ist in diesem Zusammenhang die „Erkenntnis des Herrn“, die sich im Alltag auswirkt und Gegensätze überwindet: „Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen..., denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn wie das Meer mit Wasser gefüllt ist“ (Jesaja 11,9).

Religion ist nicht nur Privatsache. Sie hat, wo sie lebendig ist, gesellschaftliche Relevanz.

Die umstrittenste der Gaben ist wohl die Gottesfurcht. Vielleicht wurde sie zu oft mißverstanden. Aber vor Menschen, die weder Gott noch den Teufel fürchten, muß man nicht selten Angst haben. Wer vor Gott Ehrfurcht hat, wird auch Ehrfurcht und Achtung vor den Mitmenschen haben, auch vor dem politischen Gegner.

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