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DER HEILIGE STUHL IN DEN ROTEN ZAHLEN

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Ein neues Buch berichtet seriös über die finanzielle Lage des Heiligen Stuhls und bemängelt, daß die Vatikan-Bank IOR (Istituto per le Opere di Religio-ne) noch immer keine öffentlichen Rechenschaftsberichte gibt.

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Ein neues Buch berichtet seriös über die finanzielle Lage des Heiligen Stuhls und bemängelt, daß die Vatikan-Bank IOR (Istituto per le Opere di Religio-ne) noch immer keine öffentlichen Rechenschaftsberichte gibt.

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Für wen die Rolle des Vatikans als Wirt schafts imperium bisher völlig undurchschaubar war, der sieht nach der Lektüre des Buches eines jungen deutschen Sozial- und Wirtschaftshistorikers bedeutend klarer. Dabei hatte es der Autor, Hartmut Benz, nicht leicht, denn es schien ihm „die Quellenlage in vielen Punkten als unzureichend".

Als Einleitung beleuchtet Benz die Entwicklung vom Ende des Kirchenstaates (1870) bis zum Beginn des Zweiten Vatikanums (1962-1965), besonders konzentriert er sich aber auf die Zeit ab dem Amtsantritt von Papst Paul VI. (1963). Benz betont, daß man im Vatikan (abgesehen von 50 kleineren Institutionen) drei große verschiedene Finanzverwaltungen unterscheiden muß:

□ den Heiligen Stuhl als geistlichen Zweig päpstlicher Herrschaft,

□ das Governatorato als den weltlichen Zweig,

□ die 1942 gegründete Vatikanbank IOR, deren Turbulenzen in den achtziger Jahren („Marcinkus-Affäre") Benz knapp, sachlich und verständlich darstellt.

Daß sich der Vatikan nach Abschluß der Lateranverträge (1929) dafür entschied, „aus den Erträgnissen seiner Kapitalien zu leben", führte zu einer engen „Verflechtung mit dem kapitalistischen System", meinte der von Benz zitierte Giovanni Cereti 1978. Der Bankier Bernardino Nogara hatte nach 1929 praktisch allein die Oberhoheit über die Vatikan-Finanzen und betrieb eine auf maximalen Gewinn ausgerichtete Investitionspraxis.

Die in dieser Zeit aufgebauten Wirtschaftsbeziehungen wirkten noch lange nach. Benz zufolge dürfte der Heilige Stuhl 1968 an 5 8 italienischen Gesellschaften beteiligt gewesen sein. Die meisten dieser Beteiligungen wurden in den folgenden Jahren abgestoßen, denn Papst Paul VI. hatte neue Richtlinien für die vatikanische Investitionspolitik festgelegt, die vor allem besagten:

□ Verzicht auf moralisch problematische Investitionen (bei Unternehmen,

die mit empfängnfsverhütenden Mitteln, mit Waffenproduktion oder moralisch zweideutigen Filmen zu tun haben könnten)

□ Abstoßen von Sperrminoritäten und Mehrheitsbeteiligungen, um nicht auf Arbeitgeberseite über Entlassungen und Konkurse mitentscheiden zu müssen,

□ Umwandlung von Beteiligungen im weniger lukrativen Italien in ein internationaler gestreutes Aktienportefeuille.

Im Zuge dieser Reform änderte Paul VI. auch die Personalpolitik und vertraute die bis dahin von Laien verwalteten Vatikan-Finanzen Klerikern an. Diese zwischen 1967 und 1975 gesetzten Maßnahmen dürften das Vermögen des Heiligen Stuhls um etwa zehn Prozent verringert haben. Sie „begründeten zwar eine seriösere und sozial zuträglichere Investitionsarbeit des Vatikans, sie beschleunigten aber auch das Anwachsen des seit den siebziger Jahren bestehenden Haushaltsdefizits des Heiligen Stuhls", schreibt Benz. Dieses Defizit dürfte auch damit zusammenhängen, daß die römischkatholische Kirche seit dem Konzil zu einer echten Weltkirche mit engerer Kooperation zwischen Zentrale

und Ortskirchen, mit mehr Dialog gegenüber anderen Glaubensrichtungen, mit einer Internationalisierung des vatikanischen Personals und einem erhöhten und teureren Arbeitspensum geworden ist.

Wie reich ist nun der Vatikan? Nach Benz, der sich dabei auf Aussagen des Präsidenten der Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls, des amerikanischen Kurienkardinals Edmund Casimir Szoka, beruft, belief sich das Gesamtvermögen 1991 auf 718,4 Millionen Dollar (etwa 8,5 Milliarden Schilling) - freilich werden die praktisch unschätzbaren Kunstwerke in den vatikanischen Büchern nur mit dem Symbolwert von einer Lira angeführt.

Von den über 50 Vatikan-Institutionen mit unabhängiger Finanzverwaltung schließt nur die Verwaltung des Heiligen Stuhls ihre Haushalte mit Defiziten ab. Der „Peterspfennig", den die Diözesen alljährlich an einem Sonntag einheben, ist daher in Rom ebenso willkommen wie weitere Zuwendungen aus den Ortskirchen und Orden gemäß can. 1271 CIC (Codex iuris canonici), auf den in

Briefen aus Rom gerne hingewiesen wird. Immerhin: Gegenüber dem Defizit von 1991, das 87,526 Millionen Dollar (über eine Millarde Schilling) betrug, konnte - was Benz noch nicht wußte, inzwischen aber offiziell bekannt ist -1992 eine Verbesserung um 96 Prozent erzielt werden: Der Heilige Stuhl geriet nur mehr mit 2,751 Millionen Dollar (etwa 33 Millionen Schilling) in die roten Zahlen. Man verweist freilich darauf, es sei für 1993 kein ebenso befriedigendes Ergebnis" zu erwarten.

Benz kritisiert in seiner Bilanz, daß die Vatikanbank nach wie vor keine öffentliche Rechenschaft ablegt und die Kontrollmechanismen nur unzureichend funktionieren, „da die mit der Kontrolle betrauten Kardinäle faktisch sich selbst kontrollieren müßten"! Er fordert Offenlegung aller Bilanzgrößen, Rationalisierung, strengere Kontrolle, Ausgabenbeschränkung, und eine „qualifizierte Ausbildung vatikanischer Beamten und vermehrte Hinzuziehung vertrauenswürdiger Laien".

FINANZEN UND FINANZPOLITIK DES HEILIGEN STUHLS. Von Hartmut Benz. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1993,183 Seiten, öS 452,40.

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