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Der Mann, der die Gerüche liebte

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Unsres Geruchssinnes werden wir oft erst gewahr, wenn dieser Sinn mit brutalen Mitteln arbeitet: mit Angebranntem, Schmierölen, Autoabgasen; daß der Geruchssinn der König der Künste ist, daß er schöpferisch wirkt und Bilderwelten schafft, wird uns nur kurz in solchen Fällen bewußt, wo wir uns an die Tannendüfte erinnern, an Kerzengerüche, Gerüche von nassem Laub, von frischem Schnee, goldenen Bratkastanien, von Fliederbüschen, sonnenheißen Steinen.

Es war ein Mann, der hatte gute Augen, ein feines Gehör, fühlende Fingerspitzen, doch seine Nase kam bei ihm nicht vor.

Wenn der Mann mit dem Hund spazieren ging, dann beneidete er im stillen den Hund. Dieser schien in anderen Sphären zu leben, er rannte vom Weg, vernahm wohl des Herrn Stimme, doch was ihn lenkte, das waren allein die Gerüche. Der Hund lief immer wieder einer riechbaren Weisung nach.

Der Mann beschloß, seinen Duftsinn zu aktivieren.

Dazu verordnete er sich abends im Bett den abgelaufenen Tag passieren zu lassen, mit allem was roch.

Das war der Kaffeegeruch, der Schuhgeruch, der Geruch von frischem Brot, der Bürogeruch, der Gasthaus-Speisengeruch.

Zu seinem Erstaunen hörte er sich sagen: „Herzlichen Glückwunsch!“

Das hatte den Boten betroffen, der über Nacht Vater geworden war.

Zum Sprite-Geruch hörte er sich, einem Pfarrer gleich, reden:

„Keine Angst, mein Junge, das schaffst du schon.“

Der Zuspruch hatte dem Maturanten gegolten, dem Schüler, der immer das Altpapier übernahm.

Zu jedem Geruch fiel dem Mann jetzt ein Ausspruch ein. Mit dessen Hilfe entstand auch die Szenerie.

So gingen einige Probemonate hin.

Gerüche waren des Mannes Zeitvertreib und Vergnügen geworden. Er registrierte sie, suchte bald nach Methoden, sie aus ihrem Dämmerschlaf zu wecken.

Es trafen bei ihm die Gerüche der Kindheit ein: die Wollgerüche, der Nasse-Handschuh-Ge-ruch, die Schulgerüche.

Immer war es ein Satz, ein einzelnes Wort, das nebenher entstand.

Dieser Merkblock bestätigte ihm die Welt.

Daß er allein lebte, nur mit seinem Hund, hatte den Mann bislang recht wenig gestört. Seit er die Frau durch Scheidung verloren hatte und die Tochter durch Heirat, richtete er es so ein, daß er in seiner Freizeit ins Freie ging. Das brauchte der Hund und lenkte den Mann davon ab, sich einsam zu fühlen. Nur an den Festtagen sah's für ihn schlechter aus. Wenn überall die Abendtische gedeckt, die Menschen gesellig und gut gekleidet waren, dann freute den Mann das Wandern im Dunkeln nicht.

Er hätte sich seinen Abendtisch decken können mit Kerzen und Blumen, mit einer Wurst für den Hund, aber das kam ihm irgendwie komisch vor; er beschloß drum beim üblichen Imbiß zu bleiben.

In diesem Jahr sollte er aber ein Fest begehn, das keineswegs schlechter als jenes der Nachbarn war.

Kaum hatte der Mann sich sein Wurstbrot zurecht gemacht, roch er nicht Wurst, er roch einen Gänsebraten mit Birnengrill und fein geröstetem Kraut. Er sah sich im Zimmer, das nach Fruchtzelten roch, vor einer Schale mit süßer Vanülecreme sitzen. Er roch die Kälte, die ins Zimmer drang. Er hörte den Vater „Genug gelüftet“ sagen. Er roch Papier, das um Stahl gewickelt war, und hörte sich aufgeregt rufen: „Schlittschuh, klaß!“ Dann roch er das Bett, in das er die Schlittschuhe nahm, damit sie ihm während der Nacht nicht abhanden kämen. Das Einschlafen, das wie Schokolade roch, wurde geschmückt mit Raketen jenseits der Straße.

Dem Mann war aus Gerüchen das Fest bestellt, mit allen Einzelheiten der Festesfreuden.

In seiner Küche, vor dem wartenden Hund (jeden Abend fiel für den Hund etwas ab vom belegten Brot), deckte sich flugs ein Tisch mit feinem Damast, mit Blüten an hohen Stielen, mit blitzenden Kelchen und Kannen.

Es schwirrten die Stimmen.

Der Mann wechselte Jahre und Jahreszeiten, zog keine Bilanz, verglich nicht und fand nicht heraus, was Schuld, Versehen oder Schicksal war. Er eignete sich Erinnerungen an, die einem ganz speziellen Geruch entstiegen. Es rollten Handlungen vor seinen Augen ab. Er hatte nichts als die Witterung wahrzunehmen.

Manches, das seit Jahren verschüttet war, gelangte auf diesem Weg an die Oberfläche, zum Beispiel die Schwäche der Frau, ihre ständige Bitte:

„Mach du das, Herbert!“

Er zog Lavendelduft ein und den Duft von Seife.

Hatte er's nicht gemacht?

Aus Weihrauch- und Myrrhenduft sprach die Tochter ihn an:

„Heut ziehe ich aus, Papa, ich bau mir die Welt, meine eigene Welt, ich komm erst zu dir zurück, wenn wir ein Kind haben werden, Stefan und ich.“ Hatte nicht Ruth über Ubelsein geklagt am Telefon? (Als er es herzlos fand, daß sie zum Rendezvous nicht erschienen war.)

Der Mann zog Windelgeruch in seine Nase. Er sagte zum Hund:

„Wenn dann das Baby kommt, darfst du nicht bellen und meine Hände nicht lecken. Mit einem Baby heißt es vorsichtig sein.“

Er roch die erbrochene Milch am Kinderlätzchen, das Fenchelwasser, den Bananenbrei.

„Fröhliches Fest!“ wünschte er seinem Hund.

,.Den Küchenboden werden wir auswechseln lassen.“

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