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Der Schriftsteller

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Schreiben ist seine einzige Forderung an das Leben. Andere lieben die Freiheit, die sie entbehren; er verschenkt, die er sich nimmt, an unbekannte Leser. Schreiben heißt: gedruckt und gelesen werden. Wer nie gedruckt wurde, hat nie geschrieben: Der Gebende ist bedürftig. Kein Zuschauer muß zuschauen, kein Leser lesen. Der Schauspieler aber braucht die Leute für sein Spiel, der Schriftsteller den Leser. Wie den Jagdhund alles zur Jagd drängt, so drängt den Schriftsteller alles zum Schreiben. Darum stellt der meist Ungesellige sich sozial: Um das Gefühl zu verlieren, das ihn so leicht nicht verläßt, eine soziale Mißgeburt zu sein.

Hier ist die Rede nur vom Schriftsteller und nicht vom Dichter oder Philosophen, die gar nicht schreiben müssen. Wie Sokrates nicht schrieb, noch Homer. Sie sind, wie Religionsstifter, was sie sind, indem sie das Publikum vergessen. Schriftsteller dagegen’sind, wie die Priester, eine soziale Einrichtung und daher nichts ohne das Publikum, das sie braucht. Ihre Kunst, wie jede andere auch, kommt vom Müssen. Wie man stich ein Kind wünscht, wünscht der Schriftsteller zu schreiben. Aus gleichem Naturtrieb oder — was dasselbe ist — Kunsttrieb.

Obschon auf dem Handwerk gleichen Namens gründend, verzichtet auf seiner höchsten Stufe Schreiben ganz auf Schreiben, um, Diktat geworden, nun erst recht schreiben zu sein. Schreiben muß, wie die Bildhauerei, auf Anhieb gelingen. Mühelos, meint Alain, wie der Maurer den passenden Stein findet, so der wahre Schriftsteller das rechte Wort für seinen Satz. Hätten sonst, um Wörter feilschend und an Sätzen feilend, Lope de Vega, Shakespeare oder Balzac ihre Riesenwerke zu schaffen vermocht?

Und die mit dem Engel um Vollendung rangen? Waren es Schriftsteller, die arbeiten mußten, während die Dichter „sans ratures” nur niederzuschreiben brauchten, was die innere Stimme befahl?

Vielleicht gilt, was über den Magnetismus witzig gesagt wurde, auch vom Schriftsteller: daß es ihn giar nicht gibt. Nicht ursprünglich ‘gibt, wie den Dichter und den Philosophen. Denn jeder, nach Jaspers, ist Philosoph und, nach Cocteau, jedes Kind Dichter. Nur Schrifststeller werden nicht geboren. Einer zu werden, mühen sich Dichter und Philosophen ab in den länger und länger werdenden Zeiträumen, da der Geist nicht mehr über sie kommt Gefallene

Engel auf dem steilen Weg — hinab. Aber in das kühle Blau ihrer Schriftstellarei bleibt stets das Rot poetischen Ausdrucks und das Gelb philosophischer Betrachtungen beigemischt. Das Schwergewicht wechselt in dem Dreifarbendrude des Schriftstellers, für den die Politik das Schicksal ist. Doch der Untergang fand nur für wirkliche Abendländer statt, die nun auf einen Neubau hoffen. Für die anderen sprießt neues Leben nur aus den Ruinen.

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