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Der Schutz der Grenzen ist unmöglich!

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In der Diskussion um die Heeresreform ergaben sich in letzter Zeit Meinungsunterschiede über den Auftrag des Bundesheeres und über die Durchführung dieses Auftrages.

Dem Bundesheer obliege laut Bundesverfassungsgesetz — Art. 79 — „der Schutz der Grenzen der Republik“. Nur mit direkter Erfüllung dieses Auftrages, d. h. mit Einsatz unmittelbar an der Grenze, wäre der Schutz des Staates gegeben.

Nach Ansicht militärischer Fachleute aber könne das Bundesheer diesen Auftrag in weiträumig offenem Gelände gegen überlegene moderne Aggressionskräfte nicht erfüllen.

Durch nachhaltigen Widerstand des Bundesheeres aber erst in günstigem Gelände, abgesetzt von der Grenze, würden größere und bedeutsame Landesteile durch das Bundesheer nicht ausreichend geschützt. Das Bundesheer wäre daher als wirksames Schutzinstrument der Republik unglaubwürdig. Es sei daher nur dann zweckmäßig, für Leistungssteigerung große Anstrengungen zu unternehmen, wenn das Heer seinen Auftrag „Schutz det Grenzen“ immer und überall auch tatsächlich durchfuhren könne.

Das offensichtliche Unvermögen des Bundesheeres, seinen Auftrag zu erfüllen, müsse zum Anlaß genommen werden, andere, vorwiegend waffenlose Methoden zum Schutze der Neutralität und Souveränität der Republik zu entwickeln.

Jede nähere Untersuchung qualitativer und quantitativer Kräfteverhältnisse zwischen dem Bundesheer und potentiellen Aggressoren läßt erkennen, in welchem Ausmaße es sinn- und nutzlos wäre, vom Bundesheer immer und überall als einzige Aufgabe den direkten „Schutz der Grenzen“ durch Verteidigung unmittelbar an der Grenze zu verlangen. Dies müßte unweigerlich in weiträumig offenem Gelände bei überlegenen Aggressionskräften zum raschen Zerschlagen großer Teile des Bundesheeres führen.

Sollte das Bundesheer diese Aufgabe auch in weiträumig offenem Gelände gegenüber starken mechanisierten Aggressionskräften erfüllen, dann müßte das Bundesheer ebenfalls über starke mechanisierte Kräfte und eine starke Luftwaffe als Luftschirm verfügen, um einen beweglichen Abwehrkampf führen zu können.

Die Schweiz hat große Teile ihrer Armee mechanisiert. Sie will aber damit keinen stationären Kampf um die Grenze führen, sondern einer Aggression in beweglicher Kampfführung Widerstand leisten. Die Schweiz hat hiebei den Vorteil, daß ihre mechanisierten Kräfte beim Einsätze im Alpenvorland gute Rük- ken- und Flankenanlehnung finden, während in Österreich grenznah vorgestaffelte starke eigene mechanisierte Kräfte unter Umständen der Gefahr weit ausholender Umfassung ausgesetzt wären. Die Aufstellung derartiger starker mechanisierter Kräfte und Luftstreitkräfte geht auf weite Sicht weit über die Leistungsfähigkeit Österreichs hinaus.

Diese Ausführungen zeigen, daß es dem Bundesheer weder jetzt noch auf weite Sicht möglich sein wird, den Auftrag „Schutz der Grenzen“ in weiträumig offenem Gelände gegenüber überlegenen modernen

Aggressionskräften durch direkten Einsatz an der Grenze zu erfüllen. Zu berücksichtigen ist ferner die Fähigkeit moderner Aggressionskräfte, in großem Umfang luftbewegliche Kräfte (Hubschauber, Fallschirmtruppen) einzusetzen. Mit diesen Kräften können die eigenen Kräfte an der Grenze übersprungen werden und überraschend und schnell wichtige Geländeteile in der Tiefe unseres Raumes in Besitz genommen werden. Dadurch würde die Bewegung der eigenen Kräfte gehemmt werden, oder aber aus diesen Luftlandebrückenköpfen könnte der Gegner zum Angriff gegen den Rük- ken unserer Kräfte antreten. Gerade diese feststellbare starke Ausrichtung auf luftbewegliche Kriegführung erfordert Tiefenstaffelung der eigenen Kräfte und flächenhafte Sicherung wichtiger Räume. All dies widerspricht aber völlig einer allgemeinen Forderung nach direktem „Schutz der Grenzen“.

Eine zeitgemäße Landesverteidigung Österreichs hat als wichtigste Aufgabe, durch bereits im Frieden vorhandene ständige hohe Präsenz und Leistungsfähigkeit die österreichische Neutralitätspolitik bei ihrem Ziele, den Frieden zu erhalten, wirkungsvoll zu unterstützen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe muß das Bundesheer bereit sein, auch Aggressionen überlegener Kräfte rasch nachhaltigen Widerstand entgegensetzen zu können. Dieses Ziel soll die österreichische Landesverteidigung

— ähnlich wie die Schweiz — durch die „Strategie des hohen Eintrittspreises“ erzielen.

Für die Überwindung eines im Sinne dieses Konzeptes geführten Abwehrkampfes würden potentielle Aggressoren zu maximalem Kräfte- und Zeitaufwand veranlaßt werden. Daher würde mit dieser Konzeption die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung des Friedens am größten sein. Dieser Grundsatz, diese Konzeption gilt für das Bundesheer in seiner jeweiligen Stärke, daher auch heute!

Hingegen würde eine Konzeption, die das Bundesheer zum „direkten Schutz der Grenze“ in weiträumig offenem Gelände auch gegen überlegene Aggressionskräfte zwingt, die Höhe des Eintrittspreises in großem Maße senken und damit eine Gefährdung der Aussichten, in einem Kriegsfälle den Frieden zu erhalten, bedeuten.

Es ist auch wichtig, zu erkennen, daß die Ausrichtung des Bundesheeres zu hartnäckigem Widerstand in günstigem Gelände im Sinne der „Strategie des hohen Eintrittspreises“ nicht die unverteidigte Preis- gaibe unverteidigter offener Landesteile, sondern genau das Gegenteil bedeutet; vorausgesetzt, daß die „Strategie des hohen Eintrittspreises“ auf entsprechend hoher Stufe und konsequent durchgeführt wird.

Die „Strategie des hohen Eintrittspreises“ bedeutet den optimal wirksamsten Schutz der Grenze, und zwar auf „indirekte Weise“.

Es erscheint daher zweckmäßig und richtig, durch größere Anstrengungen die Leistungsfähigkeit der österreichischen Landesverteidigung, insbesondere des Bundesheeres, zu heben, damit es zunehmend möglich ist, die in der „Strategie des hohen Eintrittspreises“ liegenden Chancen für den Frieden zu nützen.

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