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Dichten im Kerker bis zum Gang auf das Schafott

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Offen oder verschlüsselt, in Österreich und im Exil kämpften österreichische Schriftsteller gegen Hitlers Diktatur. Manche von ihnen wurden hingerichtet. Im folgenden einige wichtige Beispiele aus dem Widerstand der österreichischen Literatur.

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Offen oder verschlüsselt, in Österreich und im Exil kämpften österreichische Schriftsteller gegen Hitlers Diktatur. Manche von ihnen wurden hingerichtet. Im folgenden einige wichtige Beispiele aus dem Widerstand der österreichischen Literatur.

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Obwohl die Gefängnisse des Dritten Reiches noch keineswegs den humanen Strafvollzug kannten, gelang es den Häftlingen immer wieder, Kassiber nach draußen zu schmuggeln. In einigen wenigen Fällen waren das Botschaften von hohem poetischen Gehalt. Die hiebei angewandten Methoden waren fast immer die gleichen: meist wurden Besuchern klein zusammengefaltete Zettelchen mit Gedichten beim Abschiedsgruß in die Hand gedrückt; nicht selten fanden sie die Angehörigen wohlverwahrt in der ihnen zugesandten Schmutzwäsche.

Trostworte enthielt auch der Zettel, den seine Frau in der Tasche eines ihr nach der Hinrichtung des bedeutenden Lyrikers Felix Gräfe übergebenen Kleidungsstückes fand. Doch waren es keine im Gefängnis gedichteten Verse, sondern die Ubersetzung des 71. Shakespeare-Sonetts, die Felix Gräfe in der Haft aus dem Gedächtnis reproduziert hatte. Nicht selten bedienten sich die Häftlinge der Zentralheizung, um Botschaften nach draußen an Mithäftlinge zu morsen, die knapp vor der Entlassung standen.

War das Morsen zu gefährlich, nahmen die Häftlinge Zuflucht zu einer Methode der Kommunikation, die wie keine sonst den Grad der Erniedrigung ausdrückt, zu dem das Dritte Reich den Menschen herabzwang. Beide Häftlinge umwickelten ihre Toilettebürsten mit Papier und pumpten damit das Wasser aus dem Siphon der Toiletten in ihren Zellen. Wenn die beiden Toiletten einander gegenüber lagen, war ein geflüstertes Gespräch durch die nun leeren Abwasserrohre möglich. Auf diese Weise soll der später hingerichtete Augustinerchorherr Roman Karl Scholz Hunderte von Gedichten sowie den Roman „Goneril“ an seinen Freund, den späteren Schauspieler Fritz Lehmann, durchgegeben haben, .der einen Bleistift und Papier besaß.

Charakteristisch für die gesamte Kassiberliteratur des Dritten Reiches ist das Ineinanderf lu-ten von politischen und rein literarischen Gesichtspunkten. Vor allem die Kassiber, die aus den Gefängnissen geschmuggelt wurden, lassen noch in den rein lyrischen Passagen ein aus allen Metaphern hervorbrechendes politisches Engagement erkennen. So etwa in dem einen von insgesamt achthundert als Kassiber aus dem

Gefängnis geschmuggelten Gedichten des mit dreiundzwanzig Jahren hingerichteten Widerstandskämpfers Richard Zach:

Ich riß mir ein Blatt von der Linde / heimlich, als es niemand sah. / Nun liegt es auf meinem Spinde, / vom Leben ein Angebinde / Der Frühling scheint jetzt so nah.

Bemerkenswert am Charakter Zachs ist, daß er selbst in den Gefängnissen des Dritten Reiches nicht aufgibt, sich nicht gefangen gibt. Ja, es hat vielmehr den Anschein, als würde dieser Akt der Unterdrückung ihn zu Höchstleistungen anspornen. Das beweisen nicht nur die Gedichte, die er als Kassiber an seine Freunde und seine Familie schickt, nicht nur die Botschaften, die er an die Mithäftlinge richtet, sondern eine Fülle von Zirkularen, mit denen er seine Aufklärungsarbeit auch im Gefängnis noch weiter voranzutreiben sucht.

Reimfabeln wie Zach sie in großer Zahl verfaßt hatte, wanderten in den Tagen des Dritten Reichs nicht selten von Hand zu Hand. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie die auf schlechtem Papier und durch die zahlreichen Durchschläge blaß geschriebenen

Gedichte, Traktätchen und Fabeln in meiner Familie herumgereicht wurden. Ehrfürchtige, ja fast sakrale Stille trat ein, wenn mein Bruder eines davon vorlesen mußte. Uns und den zahlreichen anderen, die sie mit scheuen Blicken austauschten, gaben sie Hoffnung. Denn nicht alle, die im besetzten Österreich zurückgeblieben waren, waren Nazis — so unglaublich das für manche auch sein mag, die das schwere Schicksal der Emigration auf sich genommen hatten.

Zach gilt heute als eines der stärksten Talente unter den in den Kerkern des Dritten Reichs Umgekommenen. Daß er es bis heute zu keiner würdigen Gesamtausgabe seiner Gedichte gebracht hat und ihm bis heute nicht die verdiente Anerkennung zuteü geworden ist, kann man in seinem und -mutatis mutandis — auch im Falle anderer Dichter dem Wirken eigentümlicher Verdrängungsmechanismen in Österreich zuschreiben.

Nach 1947 hatte keine der großen Parteien Interesse daran, die Bewältigung des Vergangenen mit der gleichen Tatkraft voranzutreiben, wie das in den ersten Nachkriegsjahren der Fall gewesen war. Sie alle hatten ihren Nazis Persilscheine verschafft und verspürten nur geringen Anreiz, sich mit Totem zu beschäftigen. Die Zeit des Kalten Krieges hatte begonnen.

Dabei wären alle diese Dichter durchaus geeignet, das Geschwätz von einer Stunde Null, die uns 1945 beschert worden sein soll, Lügen zu strafen. Sie alle kommen aus einer intakten Tradition, sind Antifaschisten und noch dazu solche, die ihren Kopf für ihre Uberzeugungen riskiert, in den letztgenannten Fällen sogar verloren haben. Und sie leiten zu einer Zukunft über, in der ein freieres Wort wieder gefragt und gewürdigt ist. Eine Literaturgeschichtsschreibung, die sich dieser Bindeglieder nicht besinnt, kann auch den folgenden Epochen nicht gerecht werden.

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