6807105-1972_13_13.jpg
Digital In Arbeit

Dichter zwischen rechts und links

Werbung
Werbung
Werbung

Die Autorin, wie ihr Gatte Walter Jens in den Fächern Philologie und Literaturkritik tätig, analysiert das Schicksal der zwischen 1926 und 1933 bestandenen Sektion „Dichtkunst“ der Preußischen Akademie der Künste. In der bis ins 18. Jahrhundert zurückgehenden Vorgeschichte des mißlungenen Experiments ist vor allem eine um 1902 veranstaltete Meinungsforschung interessant. In Österreich wurden Rudolf Lothar (damals „Neue Freie Presse“), Ferdinand von Saar, Jacob Minor (Literaturhistoriker, Universität Wien), Paul Schienther (Burgtheaterdirektor), Theodor Gomperz (Altphilologe, Philosophiehistoriker) und Eduard Suess (Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Geologe) befragt. Die meisten haben vor dem Experiment gewarnt.

Die endliche Verwirklichung des Experiments ist Teil des vielfältigen Reformwerkes des liberalen Kultusministers Preußens in der Ära zwisehen den beiden Kriegen, Carl Becker. Becker, der allein schon wegen seiner Schulreformen mit dem an den Hochschulen damals herrschenden Geist in Konflikt geriet, hinterließ mit diesem Experiment eine wahre Sprengladung möglicher Konflikte. Selbst die Gesinnungsverwandten des Ministers kamen zumeist über Skepsis und Vorbehalte nicht hinaus. Der politischen Rechten und den bereits aufkommenden Völkischen sagte die Aura des Ganzen nicht zu. Heinrich Mann erinnerte, es sei nicht Sache des Staates, gewissen Akademikern zu bestätigen, sie seien gute Dichter. Walter von Molo sah nicht nur die organisatorischen Schwächen (kein Geld, keine Durchschlagskraft als Interessenvertretung), sondern „die vom Staat gebaute Fassade, dahinter sich nichts befindet“. Erwägungen dieser Art waren auch um 1962 im österreichischen Unterrichtsministerium dafür bestimmend, jedem Experiment einer Staatsanstalt aus dem Wege zu gehen. In Berlin hat damals Erwin Guido Kolbenheyer die Polemik über die Eigenschaften „dichterisch“ und „schriftstellerisch“ sowie die nie abreißende Auseinandersetzung zwischen rechts und links auf einen Rang gehoben, der heute in Deutschland angesichts der Alleinherrschaft der Linken nicht mehr erreicht wird.

Das Ende des Experiments ereignete sich als Sieg der diversen zentrifugalen Kräfte: Heinrich Mann, Vorsitzender der Sektion, tritt am Vorabend der entscheidenden Reichstagswahl vom März 1933 in einem Aufruf für die Aktionsgemeinschaft mit den Kommunisten ein. Die Alternative: für die Nationalsozialisten / für die Kommunisten fordert vielen Mitgliedern eine quälende Entscheidung angesichts der von der Akademieleitung verlangten Loyalitätserklärung für das Dritte Reich ab. Auch das Nein, das unter diesen Umständen einige Mitglieder offen aussprachen, reflektiert auf diese Fatalität: Thomas Mann erklärt noch am 17. März 1933, er habe nicht im geringsten die Absicht, gegen die Regierung (des Adolf Hitler) zu wirken. Ricarda Huch distanziert sich ausdrücklich sowohl von der Kommunistischen als auch von der Sozialistischen Partei. Franz Werfel aber fordert noch telegraphisch das Erklärungsformular an und erreicht damit, daß er wenige Wochen später als für die Mitgliedschaft zur Akademie ungeeignet qualifiziert wird. Und Hermann Bahr läßt sich durch seine Gemahlin, die kluge Frau Kammersängerin, als einer „der in keiner Weise mehr am öffentlichen Leben teilnehman kann“ entschuldigen.

1926 hatten Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal die Einladung zum Beitritt abgelehnt Ihnen war vielleicht schon mehr bewußt, was eine Generation vorher Eduard Suess, der einzige politische Kopf unter den 1902 Befragten, befürchtet hatte: Das Aufgehen einer neuen Sonne als Stolz der deutschen

Nation, die schon nach wenigen Jahrzehnten als ein geradezu verhängnisvolles Hemmnis empfunden wird. Denn, so sagte der ehemalige liberale Reichsratsabgeordnete, ein Parlament löst man auf und es wird neu gewählt; eine Akademie bleibt. Hellas, das Cinquecento und die deutschen Hochschulen sind alle unter der jämmerlichsten politischen Zersplitterung ihrer Nationen erblüht. Dieser Befund des Geologen ist gewiß kein Fundament für den Areopag der Dichter. Möge er unter den heutigen Zeitverhältnissen ein Unterpfand der Hoffnungen der Deutschen sein.

Das Buch kann sogenannten Kulturpolitikern und Entscheidungsbe-fugten m der staatlichen Kunstverwaltung aller Instanzen nicht warm genug als Pflichtlektüre empfohlen werden. Zumal unter obwaltenden Umständen in politicis.

DICHTER ZWISCHEN RECHTS UND LINKS. Von Inge Jens. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. Piper, München 1971, 298 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung